Barack Obama wird "lahme Ente"

Dem US-Präsidenten droht mit den Wahlen im November die politische Entmachtung.

Die Wahlkampfkosten sind längst auf Rekordhöhe geschossen, mehr als 75 Prozent der Wahlkampfwerbung sind Untergriffe gegen den politischen Gegner – und im Brennpunkt der meisten Attacken steht ein Mann, der in Wahrheit gar nicht zur Wahl steht: Barack Obama. Die US-Kongresswahlen in etwas mehr als einer Woche, am 4. November könnten die vorzeitige politische Entmachtung des US-Präsidenten einleiten. Als "lahme Ente" (lame duck) müsste er die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit im Weißen Haus absitzen.

Barack Obama wird "lahme Ente"
Laut aktuellen Umfragen sind die oppositionellen Republikaner, die seit zwei Jahren schon die Mehrheit im Repräsentantenhaus innehaben, drauf und dran, auch die Mehrheit im Senat zu erobern. Damit wäre Obamas politischer Spielraum mehr als beschränkt. Er könnte nur noch per Erlass am Kongress vorbeiregieren oder dessen Entscheidungen mit seinem Vetorecht blockieren.

Spendenaufruf

Die Republikaner jedenfalls wittern ihre Chance auf ein großes politisches Comeback. Nicht umsonst hat Karl Rove, einst strategischer Mastermind von George W. Bush und politisches Schwergewicht in der Partei, öffentlich Amerikas Millionäre aufgerufen, ihr Geld in den Wahlkampf zu pumpen – und die haben die Botschaft gehört. Allein 20 Millionen US-Dollar sind in den letzten zwei Wochen von US-Millionären in die Wahlkampf-Kasse der Republikaner geflossen. Der Wahlkampf um den Senatssitz des eigentlich mäßig bedeutenden Bundesstaates North Carolina ist mit Wahlkampfkosten von mehr als 100 Millionen Dollar der teuerste US-Senatswahlkampf aller Zeiten. Der dortige Hoffnungsträger der Republikaner, Thom Tillis, hat sich in seinen Wahlkampfspots voll und ganz auf Präsident Obama und auf die Machenschaften des Washingtoner Polit-Zirkus eingeschossen. Denn der wird inzwischen von einer klaren Mehrheit der Amerikaner nur noch negativ gesehen. Wieso ist das Image der US-Politik so ramponiert? Wieso ist der einstige Polit-Star Obama zur chronischen Erfolglosigkeit verdammt und werden die kommenden Kongresswahlen auch sein politisches Desaster? Darüber sprach der KURIER mit dem Washington-Chefreporter des New York Times Magazine, der in seinem aktuellen Buch "Politzirkus Washington" eine bösartige Innensicht der US-Politik und ihrer Machtspielchen liefert.

KURIER:Warum steht Obama vor dieser Wahl so schlecht da? Was war sein größter Fehler?Mark Leibovich: Obama erlebt eine wirklich schreckliche zweite Amtszeit. Er hat absolut null Beziehungen zur Opposition. Sein größter Fehler war es, die Macht eines Präsidenten zu überschätzen. Ich glaube, er war wirklich überzeugt davon, dass er, einfach indem er einen moderateren Ton anschlägt, Dinge durchsetzen kann, die sein Vorgänger Bush nicht geschafft hat.

Warum sieht die Mehrheit der Amerikaner die Politik in Washington inzwischen negativ?

Washington war immer irgendwie unbeliebt, aber wirklich zum Feindbild geworden ist es etwa vor 20 Jahren.

Es gibt drei Gründe dafür. Erstens: Die Verbreitung des Internets und der 24-Stunden-Nachrichtensender. Das bläst die ganzen politischen Kleinkriege und den Hass riesenhaft auf. Diese Dummheit sehen die Leute jetzt jeden Abend in ihrem Fernseher.

Der zweite Grund ist: Es gibt so unglaublich viel Geld im System Washingtons. Es gab noch nie so viel Geld im politischen System der USA wie jetzt. Jetzt gibt es also nicht nur unglaublich viele Leute in Washington, die politisch nicht viel weiterbringen. Sie werden auch noch wirklich reich dabei.

Der dritte Grund sind die ständigen Negativkampagnen in den Wahlkämpfen. Auf allen Kanälen laufen ununterbrochen diese untergriffigen Attacken. Das macht die Leute, die das konsumieren müssen, natürlich früher oder später zynisch.

Wie aber wurde aus Obamas anfänglichem Erfolg seine jetzige tiefe Krise?

Seine Wahlkampagne 2008 war total darauf zugeschnitten, sich von diesen politischen Spielchen in Washington abzuheben, die inzwischen das ganze Land abstoßen. Er produzierte Erwartungen, indem er sagte, er würde Washington ändern wollen, die Politik neu definieren. Das war überzeugend, aber heute ist nicht mehr klar, wie ehrlich er das wirklich meinte und wie hart er es wirklich versuchte, als er einmal im Amt war.

Es ist also populärer denn je, gegen Washington aufzutreten?

In Amerika ist das eine Standardpose, zu sagen, dass man besser als dieses Washington ist, dass man vom Land kommt, ein neuer Typ ist. Das mag ja ein wirkungsvolles Marketinginstrument sein, aber sicher kein wirkungsvolles Instrument, um zu regieren. Dieses Anti-Washington-Marketing funktioniert verlässlich, nicht nur bei Obama. Auch die Vertreter der rechtskonservativen Tea-Party sind natürlich nicht diese naiven Amateure, als die sie sich präsentieren.

Wir haben einen Zustand in der Politik erreicht, in der man umso erfolgreicher ist, je mehr man sich naiv, amateurhaft und unprofessionell präsentiert. All diese Menschen kündigen an, den Sumpf von Washington austrocknen zu wollen, und kaum sind sie gewählt, nehmen sie darin ein warmes Bad.

Was ist das Grundproblem der Washingtoner Politik?Das Problem ist, dass niemand mehr Washington verlässt. Es gab diese Tradition in den USA, dass Ärzte oder Bauern nach Washington kamen, ein bis zwei Regierungsperioden blieben und dann in ihre Heimat in ihre alte Welt zurückkehrten. Jetzt wird jeder Ex-Senator ein Lobbyist. Washington wird die reichste Stadt der USA. Es gibt also genügend Anreize, zu bleiben und mit seinen politischen Verbindungen Geld zu machen. Die Menschen in Washington kriegen ja gar nicht mehr mit, was draußen im Land vorgeht.

Ist das System korrupter als früher?Ich hätte mein Buch vor 20 Jahren nicht so schreiben können. Damals gab es viele US-Firmen, die mit der Washingtoner Politik gar nichts zu tun haben wollten. Die überzeugt waren, dort sicher kein Geld verschwenden zu wollen, um die Regierung oder die Gesetzgebung zu beeinflussen. Das hat sich gänzlich verändert. Jede große Firma muss in Washington massive Präsenz zeigen, und zusammen pumpen sie Hunderte Millionen Dollar in dieses System.

Ich glaube, die wenigsten Leute realisieren, wie viel Geld in Washington tatsächlich im Spiel ist. Geld treibt einfach die Politik heutzutage. Es ist die stärkste Kraft, die alles treibt: Wahlkämpfe, Gesetzgebung, Lobbying... das politische Spiel hat sich um 180 Grad gedreht.

In manchen amerikanischen Bundesstaaten kann der Besitz von Marihuana mit lebenslanger Haft bestraft werden – und lebenslang bedeutet in den USA tatsächlich bis zum letzten Atemzug. So erging es auch Cornell Hood, der in New Orleans zum wiederholten Mal mit einer größeren Menge Drogen verhaftet wurde. Wie es das in der Hälfte der US-Bundesstaaten gültige „Three-strikes-law“ vorsieht, hatte der 35-Jährige keine Milde zu erwarten. Denn bei einer dritten Verurteilung, und mag sie auch nur für einen kleineren Diebstahl sein, haben Delinquenten mit 25 Jahren Haft oder mehr zu rechnen.

Nicht zuletzt diese „Drei-Verstöße-Regel“ hat dafür gesorgt, dass Amerikas Gefängnisse überquellen. Die USA stellen knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung – aber 25 Prozent aller Häftlinge. Nach Angaben der Organisation Prison Policy sitzen derzeit rund 2,4 Millionen US-Bürger hinter Gittern. Da kann nicht einmal China mithalten: Das Reich der Mitte zählt etwa 1,5 Millionen Gefangene.

Immer neue Gefängnisse zu bauen, könne nicht die Lösung sein. Darin sind sich neuerdings sogar die sonst zerstrittenen Republikaner und Demokraten einig: Amerika müsse stattdessen von seiner Kultur des Wegsperrens wegkommen, fordert nun ausgerechnet einer der konservativsten Hardliner des Landes, Newt Gingrich: „Der Kongress kann und muss jetzt handeln: Wir müssen unser Gefängnissystem reformieren.“ Zu denken gibt ihm vor allem: „Die Hälfte aller Häftlinge sitzt wegen Drogenvergehen ein und ha t keine Gewaltverbrechen begangen.“

„Law-and-order“-Partei

Die Kehrtwende der „Law-and-order“-Partei dürften nicht zuletzt die explodierenden Kosten eingeläutet haben: Der Bundesstaat Kalifornien etwa gibt jedes Jahr 63.000 Dollar pro Häftling aus. Und die Kosten steigen drastisch: Denn die Häftlinge werden immer mehr – und wegen der langen Haftstrafen auch immer älter, brauchen also auch immer aufwendigere medizinische Betreuung. Für einen kalifornischen Schüler hingegen wendet der Bundesstaat pro Jahr nur 9200 Dollar auf. „Und während Kalifornien in den vergangenen 30 Jahren 22 Gefängnisse gebaut hat“, schrieb Gingrich, der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses, „hat es im gleichen Zeitraum nur eine öffentliche Universität errichtet.“

Kalifornien hat das „Drei-Verstöße-Gesetz“ im Vorjahr gekippt – und damit gleich 3000, wegen kleinerer Verstöße verurteilte Häftlinge freigelassen. Am Tag der Kongresswahlen sind die Kalifornier nun angehalten, noch einen Schritt weiter zu gehen: Sie werden über die sogenannte „Proposition 47“ abstimmen, die vorsieht, Bagatellvergehen mit wesentlich geringeren Strafen zu ahnden als bisher. Laut Umfragen gibt es eine klare Mehrheit dafür.

Ausgerechnet das streng republikanische Texas hat diesen Weg schon vor Jahren eingeschlagen: 2007 wurden alle Pläne für den Neubau von Gefängnissen gestoppt. Das ersparte Geld wurde in Bewährungsprogramme und Entzugsmaßnahmen für Drogenabhängige investiert. Das Ergebnis: Die Kriminalitätsrate sank um fast ein Viertel.
Auch der wegen Marihuanabesitzes zu lebenslanger Haft verurteilte Cornell Hood erlebte im Vorjahr eine kleine Erleichterung: Ein Richter in New Orleans reduzierte die „unverhältnismäßige, lebenslange“ Haftstrafe auf 25 Jahre. Ingrid Steiner-Gashi

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