Taliban haben Flughafen und große Militärbasis eingenommen

Afghanistan conflicts - Kandahar situation
Es wird der Zusammenbruch in ein bis drei Monaten befürchtet. Biden: Afghanen müssen selbst gegen die Taliban kämpfen.

Die militant-islamistischen Taliban haben in der Großstadt Kunduz im Norden Afghanistans nun auch den Flughafen und eine große Militärbasis erobert. Das bestätigten Provinzräte und Sicherheitskreise am Mittwoch. Die wichtigsten Regierungseinrichtungen in Kunduz waren bereits am Sonntag von den Taliban erobert worden. Sicherheitskräfte und lokale Regierungsvertreter flohen daraufhin zum Flughafen und in die Basis des 217. Armeekorps in der Nähe. Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Islamisten hätten seit Sonntag die Basis und den Flughafen angegriffen und seien dabei vergleichsweise langsam, aber stetig vorgegangen. Details waren zunächst unklar.

Am Mittwoch in der Früh habe schließlich eine große Anzahl Sicherheitskräfte mitsamt Regierungsvertretern in einem Konvoi gepanzerter Fahrzeuge die Basis verlassen, um in den Bezirk Warsaj zu gelangen. Dort sind bereits Soldaten aus anderen gefallenen Teilen der Provinzen Takhar und Badakhshan.

Kurz darauf soll sich der Kommandant der Spezialkräfte der Polizei mit zwölf weiteren den Taliban ergeben haben. Wenig später sei eine Gruppe von 30 bis 40 Kräften, die sich auch nach Warsaj durchschlagen wollte, von den Taliban aus dem Hinterhalt angegriffen worden. Daraufhin hätten sich mindestens 100 in der Basis Zurückgebliebene kampflos den Taliban ergeben. Wie es zum Fall des Flughafens kam, war zunächst unklar.
 

Videos in sozialen Medien zeigten Taliban-Kämpfer vor einem Hubschrauber innerhalb des Flughafengeländes. Allerdings ist der Hubschrauber nicht einsatzbereit - ihm fehlen die Rotorblätter. Am Flughafen seien keine einsatzfähigen Flieger mehr gewesen, da die Islamisten diese beschossen hätten, sagte ein Provinzrat.

Das 217. Korps der afghanischen Armee in Kunduz wird zwar Korps genannt, de facto ist es aber nur eine Division. Die Armee wollte den Stützpunkt zu einem Korps ausbauen, allerdings konnten nicht genügend Soldaten und Mittel dafür gefunden werden. Es war für die Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan zuständig. Bei normaler Besetzung sollten dort rund 800 bis 1.000 Mann stationiert sein.

Aus Militärkreisen heißt es, Hunderte Humvees und rund 5.000 Waffen von Kalaschnikow bis zu schweren Maschinengewehren dürften in der Basis sein. Es war unklar, wieviel davon rechtzeitig fortgeschafft wurde.

Washington Post: "Zusammenbruch in 30 bis 90 Tagen"

Angesichts des schnellen Vormarsches der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan könnte die Hauptstadt Kabul nach einem Zeitungsbericht viel früher in die Hände der Aufständischen fallen als bisher von den USA angenommen. Der Zusammenbruch könnte in 30 bis 90 Tagen erfolgen, berichtete die "Washington Post" am Dienstag (Ortszeit) unter Berufung auf nicht genannte Quellen in den US-Geheimdiensten.

Noch im Juni hatten US-Geheimdienstmitarbeiter die Lage so eingeschätzt, dass Kabul in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten nach dem Abzug des US-Militärs unter Kontrolle der Taliban geraten könnte. Trotz der sich schnell verschlechternden Sicherheitslage verteidigte US-Präsident Joe Biden erneut den Abzug des US-Militärs. Angesichts des jüngsten Vormarschs der Islamisten nach dem weitgehenden Abzug der internationalen Truppen sagte Biden am Dienstag im Weißen Haus, die Afghanen müssten nun "selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen". Ihre Streitkräfte seien den Taliban militärisch überlegen, auch in Bezug auf die Truppenstärke.

Biden bedauert Entscheidung über Abzug nicht

"Aber sie müssen auch kämpfen wollen", sagte Biden. Der US-Präsident appellierte auch an die politische Führung in Kabul, an einem Strang zu ziehen. Wörtlich sagte er: "Ich glaube, sie beginnen zu verstehen, dass sie an der Spitze politisch zusammenkommen müssen." Biden versprach, die USA würden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin finanziell und militärisch unterstützen. Er werde jeden Tag über die Lage unterrichtet.

Biden hofft auf Zustimmung des US-Senats

Mit Blick auf den von ihm angeordneten Abzug der US-Soldatinnen und Soldaten fügte der Präsident hinzu: "Aber ich bedauere meine Entscheidung nicht." Zum Zeitpunkt der Entscheidung hatten die USA noch rund 2.500 Soldaten in Afghanistan. Inzwischen ist der Abzug nach Militärangaben zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen. Bis zum Monatsende soll er komplett beendet sein. Die Bundeswehr und die Soldaten anderer NATO-Länder haben Afghanistan bereits verlassen.

Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die Taliban viele Gebiete erobert. Am Dienstag nahmen sie in kurzer Folge die achte Provinzhauptstadt ein. Nach zunächst unbestätigten Berichten soll am Abend auch die Stadt Faizabad in die Hände der Islamisten gefallen sein.

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