Ungarn: Wichtiges kritisches Onlinemedium vor dem Aus
Am Ende ging alles ganz schnell. Szabolcs Dull hatte es kommen sehen, wie er sagt. Der Chefredakteur des kritischen und unabhängigen ungarischen Onlinemediums index.hu hatte davor gewarnt, dass "seine" Redaktion auf dem besten Weg ist, ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Am Mittwoch wurde er gekündigt.
Dabei ist gerade in Ungarn die Unabhängigkeit der Medien so wichtig. Mehrere Zeitungen und Magazine wurden bereits durch Tricks der Regierung Viktor Orbáns oder von mächtigen Geschäftsmännern in dessen Umfeld geschlossen, gekauft oder übernommen.
Index war bis dato wohl das wichtigste übrig gebliebene kritische Medium des Landes. Das Portal erreichte täglich knapp eine Million Leser (Ungarn hat rund 10 Millionen Einwohner), in den vergangenen Jahren hat sich das Online-Portal den Platz erkämpft und einen Ruf erarbeitet, unangenehme Fragen zu stellen und an kritischen Themen trotz aller Hürden dranzubleiben.
Grund seien Differenzen über die Newsroom-Neuorganisation, heißt es beim Management offiziell. Doch auch wenn Herausgeber und Regierung betonten, dass die Entlassung Dulls wirtschaftliche und keine politischen Hintergründe habe, gibt es zumindest bei vielen Journalisten wenig Zweifel, warum er gehen musste.
Dull hatte sich aktiv gegen den Plan des Managements gestellt, die Produktion eines Großteils der Artikel an externe Firmen zu vergeben, wodurch die Chefredaktion kaum Kontrolle über ethische Standards gehabt hätte. Die Belegschaft hatte den Plan im Juni erfolgreich verhindert. Doch die aktive Rolle Dulls blieb offenbar ein Dorn im Auge des Managements.
"Die Belegschaft hat sich offenbar nicht ohne Grund bedroht gefühlt", schrieb Dull in einem Statement nach seiner Entlassung. "Ich habe unser Barometer nicht ohne Grund verstellt."
Zur Erklärung: Eines der bekanntesten Features der Homepage von Index.hu ist ein grün-gelb-rotes Barometer, das für die Unabhängigkeit der eigenen Redaktion steht. Grün für unabhängig, rot für kontrolliert. Das Barometer, das seit zwei Jahren existiert, steht mittlerweile auf gelb: "In Gefahr".
Vor wenigen Wochen hat der Geschäftsmann Miklós Vazily die Kontrolle über die Finanzen des Portals übernommen. Da schlug das Barometer bereits auf gelb aus. Denn Vazily gilt als Orbán-Vertrauter, Index wäre nicht das erste Medium, das er "auf Linie" bringt. Ihm gehören seit März 50 Prozent der Anteile jener Agentur, die das Onlineportal mit Werbeeinnahmen ausstattet.
Belegschaft geht
Am Freitag folgten dem Chefredakteur drei der leitenden Redakteure - Attila Tóth-Szenesi, Veronika Munk, und János Haász reichten ihre Kündigung ein, wie Index selbst auf seiner Homepage berichtet. Gefolgt von mehr als 70 Redakteuren.
"Das ist ein sehr trauriger Tag für die ungarischen Medien", sagt Péter Magyari, ein ungarischer Journalist, der bis 2013 selbst für Index gearbeitet hat. "Index war erfolgreich und wirtschaftlich stark. Extrem populär." Ohne dieses Portal werde die Stimme der unabhängigen Nachrichten leiser. "Durch seine große Reichweite konnte Index auch Fidesz-Wähler mit unabhängigen Berichten erreichen. Das schaffen andere nicht."
Für ihn steht "außer Frage, dass Orbán Index gekillt hat". Durch die Teilübernahme der Agentur, die für die Werbungen zuständig ist, könne man jedes Medium beeinflussen.
"Opfer des Krieges gegen die Medien"
"Die Entlassung von Szablocs Dull markiert einen neuen Tiefpunkt für die Pressefreiheit in Viktor Orbáns Ungarn", schreibt Gergő Sáling, Teilhaber des Non-Profit-Investigativzentrums Direkt36, in einem Gastbeitrag in der Onlineausgabe von Politico.
Sálings früherer Kollege Dull sei ein "smarter Reporter und Chefredakteur", er habe in den vergangenen Tagen viel Mut bewiesen und seinen Newsroom und dessen Unabhängigkeit verteidigt. Dass er das "nächste Opfer des Krieges der Regierung gegen die Medien" wurde, sei deshalb wohl kein Zufall. Wer Fidesz kritisiert, so die Annahme, werde attackiert.
Auch international hat der Fall für Kritik gesorgt. Er zeige, wie prekär die wirtschaftliche und politische Lage jener Medien ist, die keine Sprachrohre der Regierung sind, schreibt etwa die Neue Zürcher Zeitung.
Demonstration vor Orbáns Amtssitz
Am Freitagabend gingen deshalb mehr als tausend Menschen in Budapest auf die Straße, um gegen die Angriffe auf Index zu demonstrieren. Organisiert wurde der Protest von der Oppositionspartei Momentum, auch Vertreter anderer Oppositionsparteien kamen.
Das Ziel der Demonstranten: der Amtssitz Viktor Orbáns auf dem Burgberg. Sie wurden von einem hohen Polizeiaufgebot begleitet,
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