200.000 oppositionelle Unterstützer "enttarnt": Ein Datenleck beschäftigt Ungarns Wahlkampf
Während der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit einer Schar Journalisten, ungarischen Influencern und und Geschäftsmännern in den USA bei US-Präsident Donald Trump weilt, tourt der Oppositionspolitiker Péter Magyar durch das Land, und macht Wahlkampf. Im April 2026 wählt Ungarn ein neues Parlament, Umfragen zufolge könnte Orbán ernsthaft eine Abwahl bevorstehen.
Doch diesmal ist es nicht das Thema Korruption, das ihn wie sonst beschäftigt, sondern die Daten von 200.000 Tisza-Unterstützern, die vor Kurzem im Internet veröffentlicht wurden.
"Die Regierung hat mittlerweile so große Angst, dass sie einen Krieg gegen die eigene Nation begonnen hat. Seit Ende des Eisernen Vorhangs hat es das nicht gegeben: dass eine amtierende Regierung ungarische Bürger listet, bedroht und erpresst", klagte Magyar in einer Rede an.
Wie es zu dem Datenleck gekommen ist, ist unklar, doch dominiert es seit Tagen den ungarischen Wahlkampf.
Abstimmungen per App
Magyars Tisza, die "Respekt- und Freiheitspartei", ist noch immer mehr eine politische Bewegung als eine Partei: Sie hat keine Mitgliederliste, keine Parteiversammlungen, keine Statuten.
Organisiert wird alles über die App TISZA Világ. Wer sich engagieren will, lädt diese auf sein Smartphone, registriert sich und kommt so mit anderen Unterstützern in der Umgebung in Kontakt. So werden zum Beispiel Wahlveranstaltungen organisiert oder Abstimmungen über Wahlversprechen und politische Maßnahmen abgehalten. Nun wurden die Daten von 200.000 Nutzern veröffentlicht – inklusive Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, etc. Bei manchen wurde sogar der Beruf bekannt.
Mittlerweile wurde die Liste online wieder entfernt. Einige regierungsnahe Zeitungen wie das Lokalblatt Promenad24 hatten ausgewählte Daten vorher jedoch veröffentlicht.
Die Folge: Fidesz-Anhänger und lokale Politiker fahren zu den veröffentlichten Adressen und filmen sich vor den Häusern von Tisza-Unterstützer. Videos wie diese findet man im Netz zu Hauf.
Einschüchterungsversuch
Die Opposition hat das Leck bestätigt, spricht von Einschüchterung und einem Cyberangriffe. Sie stellt in den Raum, dass russische oder ungarische, der Regierung nahe stehende Hacker damit zu tun haben könnten. Bereits Anfang Oktober sollen die Date von einigen Dutzend Personen gestohlen worden sein. Man habe den Datendiebstahl gemeldet und die Betroffenen verständigt. Magyar zufolge seien die IT-Systeme seiner Partei seit Monaten "Attacken" ausgesetzt. Auch interne Vorwahlen hätten über die App stattfinden sollen, die Abstimmung werde nun auf einer anderen Website abgehalten.
Der ungarische Regierungschef Orbán wiederum behauptet, die Tisza-Partei selbst sowie "bestimmte ukrainische Individuen" seien für das Datenleck verantwortlich. Er spricht von einem "ernsten Risiko für die nationale Sicherheit". Das Regierungsumfeld verbreitet die Ansicht, das Leck sei die Folge von Fehlkonfigurationen und Fahrlässigkeit.
Regierungsnahe Medien schüren Ängste, indem sie davor warnen, dass die Daten in die Hände "kriminaler Banden" gelangen könnten. Regierungsmitglieder wie der politische Direktor Orbáns, Balázs Orbán, versuchen sogar eine Verbindung zum ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij herzustellen. Hinter der Tisza-App soll die ukrainische Softwarefirma PettersonApps stecken, dessen Geschäftsführer "laut Facebook-Profil" ein Unterstützer Selenskijs sei. Der Wladimir Putin freundlich gesinnte Orbán hat in der Vergangenheit wiederholt versucht, die Bewegung als von der Ukraine "infiltriert" darzustellen; er warnt davor, dass Tisza die Ukraine finanziell und militärisch unterstützen wolle, während sich Magyar selbst kaum zu außenpolitischen Fragen äußert und – wie Orbán – Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt. Auf Orbáns Wahlplakaten wird Magyar als Marionette von Brüssel dargestellt.
Viele Tisza-Anhänger lassen sich vom Datenleck trotzdem nicht abschrecken: "Wenn man für die Zukunft seines Heimatlandes Adresse und Telefonnummer angeben muss, ist das ein ziemlich kleines Opfer", zitiert das ungarische Investigativportal Telex einen älteren Herren. Ihre Pension werde man ihr schon nicht wegnehmen, hofft eine Frau.
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