Orbán kämpft als "Friedensbringer" gegen seine Abwahl

Ministerpräsident Viktor Orbán beim Nationalfeiertag 2024 vor dem ungarischen Parlament in Budapest.
Das Treffen von Putin und Trump in Budapest ist abgesagt. Trotzdem liefert es in Ungarn sechs Monate vor der Parlamentswahl Stoff für Orbáns Wahlkampf.

Für den national-konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán kommt die Absage eines potenziellen Treffens zum Krieg in der Ukraine zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin in Budapest zum schlechtesten Zeitpunkt: Der 23. Oktober, Ungarns Nationalfeiertag, an dem dem Volksaufstand von 1956 gegen die sowjetische Besatzung gedacht wird, ist in Ungarn jedes Jahr Wahlkampf.

Orbán nutzt die große Bühne vor einem ungarischen Fahnenmeer vor dem Parlament in Budapest, um "sein" Ungarn zu verteidigen: vor Brüssel, das versuche, seine Regierung auszuschalten und Budapest eine Marionettenregierung aufzuzwingen; vor Migranten und "Gender-Aktivisten", die Ungarn als letzte Bastion konservativer Werte stürzen wollen. Für seine Rede lässt Orbán stets Anhänger aus den allen Ecken und Enden des Landes in Bussen in die Hauptstadt karren – seine stärksten Unterstützer hat Orbán in den ländlichen Gebieten. 

Jedes Jahr, nur wenige Meter entfernt, findet man sich genauso plötzlich in einem ganz anderen Ungarn wieder: Denn genauso ruft die Opposition traditionell zu einer Gegendemo auf, die zuletzt auf über 10.000 Teilnehmer anwuchs – mindestens so viele, wie Orbán zusammentrommeln konnte. Heuer versammelt sie sich am Ferenc-Deák-Platz: "Nur gemeinsam können wir das korrupte und hasserfüllte Machtsystem zerstören", heißt es im Aufruf in den sozialen Medien.

Was heuer anders ist: Ungarn befindet sich wirklich im Wahlkampf. In einem halben Jahr, im April 2026, werden ein neues Parlament und eine neue Regierung gewählt. Und seit knapp eineinhalb Jahren sehen die Umfragen die nicht einmal zwei Jahre alte Oppositionspartei Tisza des Mitte-Rechts-Politikers Péter Magyar vor Orbáns Fidesz-Partei. Bei der Wahl zum EU-Parlament im Juni 2024 holte die Partei aus dem Nichts rund 30 Prozent der Wählerstimmen. Nach 15 Jahren an der Macht droht Orbán, dem längst dienenden Regierungschef der EU, die Abwahl. 

Friedens-Gipfels als Ablenkung

Der amtierende Orbán wollte die große Bühne nutzen, um sich als Friedensbringer zu inszenieren. Ein Treffen zwischen Trump und Putin in Budapest wäre für ihn ein außenpolitischer Triumph gewesen – eine willkommene Ablenkung von den innenpolitischen Problemen, auf die sich die Opposition draufgesetzt hat und die die Bevölkerung mobilisieren: zu wenig Krankenhausbetten und Ärzte, desolate Schulen, die niedrigen Löhne im öffentlichen Dienst und zu geringe Pensionen. Gleichzeitig wäre es ein Seitenhieb gegen die EU gewesen, die dabei lediglich die Rolle der Zuschauerin einnehmen würde.

Péter Magyar tourt gerade 80 tage lang druch Ungarn, um seine politischen Pläne für die Wahlen 2026 vorzustellen.

Péter Magyar tourt gerade 80 Tage lang durch Ungarn, um seine politischen Pläne für die Wahlen 2026 vorzustellen.

Der ungarische Ministerpräsident ist mit seinem schleichenden Abbau von in der Verfassung verankerten Kontrollmechanismen, der Einschränkung unabhängiger Medien, der Austragung von Kulturkämpfen und der Bereicherung seines engsten Kreises vielen rechten Republikanern und MAGA-Anhängern in den USA bekanntlich ein Vorbild; Trump lobte Orbán vergangenen Woche als "einen Anführer, den wir mögen". Putin "mag ihn, ich mag ihn" und Ungarn sei ein "sicheres Land".

Dabei war Orbáns Plan von Anfang an nicht ganz risikofrei: Wäre ein Treffen in Budapest ähnlich erfolglos geblieben wie jenes in Alaska im August, hätte Orbán niemanden gehabt, dem er das Scheitern in die Schuhe schieben hätte können: Trump und Putin nennt Orbán seine Verbündeten; der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij war gar nicht erst eingeladen; und den üblichen Sündenbock Brüssel hat Orbán auf die Zuschauerbank verbannt.

Orbáns Hoffnung, doch noch Ausrichter eines Treffens zu werden, ist zumindest in den sozialen Medien ungebrochen: Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó weile gerade in Washington, schrieb er, "die Vorbereitungen für den Friedensgipfel gehen weiter. Der Termin ist noch ungewiss. Wenn es soweit ist, werden wir ihn veranstalten."

Ukraine-Krieg als Wahlkampfthema

Schon lange hat die Orbán-Regierung den Krieg in der Ukraine zu ihrem Wahlkampfthema auserkoren: In seinen wöchentlichen Podcast-Aufnahmen spricht Orbán am liebsten über die drohende Gefahr, dass Europa aufgrund seiner Sanktionen und militärischen Unterstützung der Ukraine in den Krieg hineingezogen werden könnte. Dabei wurde zuletzt die Ukraine als Gefahr dargestellt: Die Beschädigung der Druschba-Pipeline, über die Ungarn mit russischem Öl versorgt wird, durch ukrainische Raketen nannte die Regierungen einen "Akt der Aggression gegen die ungarische Souveränität"; die Ukraine sei ein Land, das "nicht in der Lage ist, ihren eigenen Staat zu erhalten", so Orbán öffentlich.

Auffallend: Das Thema Migration, das bei dem letzten Wahlkampf 2022 noch bestimmend gewesen ist, spielt diesmal gar keine Rolle mehr. Vielleicht auch, weil mittlerweile selbst die Regierung nicht mehr verheimlichen kann, dass Ungarn Migranten als Arbeitskräfte braucht. Viele internationale Firmen, die die Regierung mit Subventionen unterstützt, wie der chinesische Batteriehersteller CATL oder der Hersteller von Lithium-Ionen-Batterieelektrolyten KunlunChem, beschäftigen Migranten von den Philippinen und aus Vietnam. 

Mit KI gegen Magyar

Fidesz-Politiker und Orbán-nahe Staatsmedien versuchen, den Oppositionspolitiker Magyar in ihr Feindbild zu pressen: KI-generierte Bilder zeigen EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, der in Brüssel lauter Unterstützer von Militärlieferungen an die Ukraine ist, und einen vor ihm knieenden Magyar, den er wie einen Hund an der Leine hält; die Demonstrierenden im Hintergrund tragen Ukraine-Flaggen. Daneben: Orbán als Beschützer der Nation vor einer Menschenmenge mit rot-weiß-grünen Fahnen steht. 

Doch bei Magyar gelang das bisher weniger als bei vielen bisherigen Oppositionspolitikern: Magyar vertritt in vielen Fragen ähnliche Ansichten wie Orbán und gehörte einst zu dessen Dunstkreis, seine Ex-Frau war Justizministerin Judit Varga. Er hat sich dem Kampf gegen die Vetternwirtschaft und Korruption der Regierungspartei verschrieben, und trifft damit auch bei den konservativen Ungarn, die die alt eingesessenen, eher links eingestellten Oppositionspolitiker ablehnen, einen Nerv.

Auch Magyar hat sich klar gegen europäische Waffenlieferungen an die Ukraine und für einen Waffenstillstand ausgesprochen. Ein wesentlicher Unterschied zu Orbán: Er nennt Putin den Aggressor im Krieg gegen die Ukraine.

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