Warum Orbán ukrainische Kinder auf die Straße setzt
Die Regierung strich allen Vertriebenen, die nicht aus Gebieten mit direkten Kriegshandlungen kommen, jegliche Unterstützung. Das könnte Folgen haben - der Schritt verstößt gegen EU-Recht.
„Meine Tochter kann bleiben, ich stehe auf der Straße“, sagt die junge Frau in dem Video. „Hoffentlich ändert Viktor Orbán seine Meinung“, eine andere.
120 ukrainische Vertriebene, davon allein 80 Kinder, wurden im nordungarischen Kocs auf die Straße gesetzt; landesweit dürften es bis zu 3.000 sein, schätzt die NGO Helsinki-Komitee. Videos des regierungskritischen Portals Telex zeigen Frauen und Kinder, die auf Beton schlafen, viele wirken verzweifelt. Ungarns Regierung hat ihnen jegliche staatliche Unterstützung gestrichen: Laut einem neuen Dekret dürfen nur mehr Vertriebene aus den direkt von den Kämpfen betroffenen Gebieten bleiben.
Es ist nicht das erste Mal, dass geflüchteten Ukrainern das Leben erschwert wird: Etwa 44.000 Vertriebene sind in Ungarn, vielen hätten die Behörden schon letztes Jahr die Zugänge zu staatlichen Unterkünften erschwert, berichtet Andras Léderer vom Helsinki Komitee. Mit 21. August wurden nun alle aus den Unterkünften geworfen, die nicht aus der Ost- oder Südukraine stammen – ohne Ersatz, ohne Geldleistungen.
Ungarns Premier Viktor Orbán hat damit auch das nächste Kapitel im Streit mit Kiew aufgemacht. Schon seit Kriegsbeginn blockiert Budapest – immerhin NATO-Mitglied – immer wieder finanzielle und militärische Hilfen für den Nachbarn. Dass Orbán kurz nach Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft nach Moskau fuhr, um mit Wladimir Putin seine eigenen Friedensideen zu besprechen, löste eine Eiszeit mit Brüssel aus. Kiew reagierte, indem russische Öllieferungen gestoppt wurden, und das schmerzte. 70 Prozent des ungarischen Öls kommen nach wie vor aus Russland, derzeit wird händeringend nach Alternativen gesucht.
Das harsche Vorgehen gegen Flüchtlinge – selbst gegen jene aus der Ukraine – fügt sich zudem in Orbáns Anti-Migrations-Politik der vergangenen Jahre ein. Dass von der neuen Regelung auch Roma aus der ukrainischen Region Transkarpatien betroffen sind, passt zusätzlich zur Agenda: Roma und Sinti sind in Ungarn schon lange massiv marginalisiert.
Menschenrechtsorganisationen wie das UNHCR warnten seit Längerem davor, dass Ungarn seinen EU-rechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen wird. Eigentlich haben sich alle EU-Staaten darauf verständigt, allen Geflohenen aus der Ukraine Vertriebenenstatus zuzuerkennen, womit sie staatliche Unterstützung bekommen. Das Helsinki Komitee, für das die Neuregelung „klar gegen EU-Recht verstößt“, hat darum Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt; Antwort hat man bisher noch keine erhalten.
In Kocs erlaubte der bisherige Betreiber der Unterkunft, zumindest den Kindern noch in seinem Haus zu bleiben – auf eigene Kosten, für eine Nacht. „Ich bin ein Niemand hier“, sagte er. „Regeln muss das die Regierung.“
Kommentare