Die ungarische Blockade fällt – warum jetzt?

Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU am 29. Juni 2023 in Brüssel.
Heute, Freitag, wird der schwedische Premierminister Ulf Kristersson in Budapest landen, seinem ungarischen Amtskollegen die Hand schütteln, beide werden in die Kameras lächeln. Dann wird sie plötzlich vergessen sein, die ungarische Blockade der Ratifizierung von Schwedens NATO-Beitritt, die über 20 Monate andauerte.
Am Montag – und diesmal wirklich – soll das ungarische Parlament, in dem Ministerpräsident Viktor Orbáns Fidesz-Partei eine Zwei-Drittel-Mehrheit hält, dem Antrag zustimmen. Etliche Male war er bereits auf der Tagesordnung gestanden, etliche Male wurde die Abstimmung verschoben – oder Fidesz-Parlamentarier verließen einfach den Raum.
Doch diesmal braucht Orbán die positiven Schlagzeilen und die internationale Aufmerksamkeit, um von etwas anderem abzulenken.
"Orbán ist aktuell bemüht, die innenpolitische Atmosphäre nach dem Begnadigungsskandal zu entspannen und Kritiker zu besänftigen. Je weniger Konflikte da um die ungarische Regierung kreisen, desto eher gelingt es, die derzeitige Spannung in der öffentlichen Meinung abzubauen", sagt Balázs Böcskei, Strategischer Direktor des politikwissenschaftlichen IDEA-Instituts in Budapest.
Die Begnadigung eines Missbrauchs-Mittäters durch Fidesz-Politikerinnen setzt aktuell die national-konservative Regierung in Ungarn unter Druck; vergangene Woche musste sich Orbán den größten Protesten in seiner Amtszeit stellen.

So darf es am Montag nicht aussehen: Bei einer von der Opposition eingebrachten Abstimmung verließen die Fidesz-Abgeordneten das Parlament.
Orbáns Machtspielchen
Der offizielle Grund für die Blockade Budapests seit jeher: Schwedens "beleidigendes Verhalten" und die Kritik an Ungarns Rechtsstaatlichkeitsstandards. Doch dass daran etwas dran sei, bezweifelt Böcskei. Neben Ungarn hatte die Türkei bis Ende Jänner Schwedens NATO-Beitritt blockiert, schließlich aber die Zusage der USA zur Lieferung von F-35-Kampfflugzeugen aushandeln können. Zuvor war die Türkei wegen des Kaufs russischer Fliegerabwehrsysteme vom F-35-Programm ausgeschlossen worden.
Ob für Ungarn auch etwas rausspringt, ist unklar: "Wahrscheinlich war Ungarn hier ein Instrument der türkischen Strategie, und wird von Ankara wirtschaftlich oder mit politischer Zusammenarbeit in einem anderen Bereich belohnt werden", sagt Böcskei.

Schwedische Soldaten bei einer NATO-Übung in Polen.
So oder so konnte sich Orbán mit dem NATO-Veto einmal mehr als großer Kämpfer "für das Ansehen der Ungarn" präsentieren – eine Möglichkeit, die er auch auf EU-Ebene (Stichwort EU-Sanktionen gegen Russland) selten ungenützt verstreichen lässt.
Das bringt Schweden mit
Schweden ist seit wenigen Jahren wieder dabei, seine Streitkräfte zu verstärken. Nach dem Kalten Krieg hatte die Regierung zunächst die Verteidigungsausgaben gekürzt, Einsätze bei Friedensmissionen wurden zur Hauptaufgabe. Doch Stockholm machte bereits vor wenigen Jahren kehrt. 2017 führte das Land die Wehrpflicht, die 2010 ausgesetzt wurde, wieder ein, denn es mangelte – wie in fast allen Ländern ohne verpflichtenden Grundwehrdienst – an Rekruten.
199 Sitze hat das ungarische Parlament, Orbáns Regierung (Fidesz plus die national-konservative Kleinpartei KDNP) hält mit 135 Sitzen die Zwei-Drittel-Mehrheit. Der NATO-Beitritt eines Landes muss von allen NATO-Mitgliedern beschlossen werden.
Frauen und Männer müssen in Schweden zum Grundwehrdienst – allerdings nur bis zu 8.000 von insgesamt 100.000 Wehrpflichtigen. Bis 2025 sollen die schwedischen Streitkräfte auf 90.000 anwachsen.
Bis 2025 soll die Kapazität an Soldaten erhöht werden. Stünden jetzt in Kriegszeiten etwa 60.000 zur Verfügung, will das schwedische Verteidigungsministerium die Zahl bis 2025 auf 90.000 Soldaten aufstocken, das Zwei-Prozent-Ziel soll bald erreicht werden.
Mit dem Beitritt Schwedens baut die NATO außerdem ihre Machtposition in der Ostsee massiv aus – vor allem durch die strategisch wichtige Insel Gotland, die Schweden gehört. Sie gilt als „unsinkbarer Flugzeugträger“.
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