Soldaten verzweifelt gesucht: Ohne USA stünde NATO vor massiven Problemen

Soldaten verzweifelt gesucht: Ohne USA stünde NATO vor massiven Problemen
Die Anzahl der Soldaten in europäischen Staaten sinkt, Rekrutierungsmaßnahmen greifen nicht so wie erhofft.

„Wir müssen verstehen, dass der Frieden, in dem wir leben, nicht selbstverständlich ist. Und deshalb bereiten wir (die NATO-Streitkräfte, Anm.) uns auf einen Konflikt mit Russland vor“, sagte der Niederländische Admiral Rob Bauer bei einem NATO-Treffen vergangene Woche. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Unsere Experten rechnen mit einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren, in denen das möglich sein könnte.“ 

Nato-Admiral: Müssen uns auf großen Krieg gegen Russland vorbereiten

Bereits im Juni 2022 hatte die NATO beschlossen, künftig 300.000 Soldaten in hoher Bereitschaft zu halten, um ihre Ostflanke zu sichern – die derzeit beginnende Übung „Steadfast Defender 2024“ soll erproben, ob die Mitgliedsstaaten zu einer raschen Verlegung von Truppen in der Lage sind. Sollte der nächste US-Präsident Donald Trump heißen und dieser seine Drohung wahr machen und die NATO verlassen, hätten die übrigen Mitglieder ein gewaltiges Problem.

Was die größte NATO-Übung seit Ende des Kalten Kriegs bedeutet

Denn während Generäle und Politiker vor künftigen Kriegen warnen, sehen die Personalzahlen in vielen europäischen Streitkräften mager aus - zum Beispiel in Deutschland: Etwa 180.000 aktive Soldaten gibt es derzeit, bis 2030 müssten es laut NATO 203.000 sein. Nahezu ein Ding der Unmöglichkeit: Zum einen steht eine massive Pensionierungswelle bevor – bis 2027 gehen 64.000 Soldaten in den Ruhestand. Zum anderen kündigten etwa 2022 mehr als 4.200 Bundeswehr-Soldaten vorzeitig ihren Dienst. 

Auch wenn Pistorius derzeit eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht prüfen lässt – der Widerstand dagegen dürfte zu groß sein. Und so debattiert Deutschland seit wenigen Tagen darüber, ob man nicht Ausländern die Möglichkeit geben soll, in den Dienst der Bundeswehr zu treten. „Wir wären nicht die ersten Streitkräfte in Europa, die das tun würden“, sagte Pistorius. Es gebe Menschen im Land, die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, aber noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Eine andere Überlegung ist es, Bürgern aus EU- oder NATO-Staaten das Angebot zu machen. Grundsätzlich sind diese Überlegungen ein Nullsummenspiel, blickt man durch die NATO-Brille und einen drohenden Konflikt mit Russland. 

Der deutschen Bundeswehr gehen die Soldaten aus

Britische Streitkräfte auf niedrigstem Stand seit Napoleonischen Kriegen

Und auch jenen Streitkräften, die sich bereits für ausländische Bürger geöffnet haben, geht es größtenteils personaltechnisch schlecht: Die Landstreitkräfte des Vereinigten Königreichs sind mit 80.077 Soldaten auf dem tiefsten Stand seit 1815 – dabei sind 4.097 nepalesische „Gurkhas“ bereits hinzugerechnet. Richard Foord, ehemaliger Major der Armee und Mitglied des Parlaments, sagte dem britischen Telegraph, dass immer mehr Soldaten ihren Dienst aufgrund der mangelhaften Unterbringung quittieren würden. 

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In Belgien ist es jedem EU-Bürger gestattet, Soldat in den belgischen Streitkräften zu werden, ebenso in Dänemark und Irland. Letztere verfügten im Mai 2023 über 7.764 Soldaten, angestrebt sind 9.500. Von den angestrebten 4.069 Reservesoldaten verfügt Irland derzeit über 1.706.

Sehr aufnahmefreudig zeigt sich Spanien: Angehörige beinahe aller Staaten (außer Marokko, Philippinen und Puerto Rico) des früheren spanischen Reichs dürfen in den Streitkräften dienen. Also etwa Bürger aus Chile, Argentinien, Mexiko oder Venezuela - insgesamt aus 19 Nationen. 2015 belief sich die Anzahl der ausländischen Staatsangehörigen im Dienste der spanischen Streitkräfte laut Verteidigungsministerium auf 315 – oder 0,26 Prozent. 

Der wohl bekannteste Verband für staatsfremde Bürger ist die französische Fremdenlegion, in der derzeit 9.000 Soldaten dienen. Die französischen Landstreitkräfte sind allerdings ebenso in einer Personalkrise: Im Jahr 2022 lag die Quote der Kündigungen vor Ende der Ausbildung bei 32 Prozent. Bereits 2021 blieben 700 Stellen unbesetzt, bis 2030 will das französische Verteidigungsministerium jedoch 6.300 neue Stellen schaffen.

In Österreich, das durch die Wehrpflicht 16.000 Rekruten im Jahr ausbildet, herrschen zwar ebenso Personalsorgen, Soldaten ohne österreichischen Pass werden allerdings keine angestrebt. In Anbetracht des mangelnden Erfolgs dieser Maßnahme erübrigt sich eine Diskussion darüber. Allerdings wird immer wieder gefordert, die Aussetzung der verpflichtenden Milizübungen wieder aufzuheben. Laut Verfassung ist das Österreichische Bundesheer nach einem Milizsystem auszurichten – und gerade die Miliz plagen Personalsorgen. 

3.557.200 Soldaten hatten die Streitkräfte aller EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 1995 zusammen. Im Jahr 2019 waren es 1,9 Millionen. Und das obwohl in der Zwischenzeit 13 neue Staaten – darunter das militärisch starke Polen – dazugekommen waren, während Großbritannien die Union verließ. 

Doch die europäischen Staaten leiden nicht nur an Personalmangel – auch die Munitionslager dürften durch die Lieferungen an die Ukraine aufgebraucht oder nicht ausreichend befüllt sein. Und die Produktion weiteren Nachschubs in ausreichender Zahl lässt nach wie vor auf sich warten. Sowohl für die Ukraine als auch für die Streitkräfte westlich davon. 

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