Timoschenkos Machtgier stört Moskau und EU

Kaum zwei Tage in Freiheit, zieht Oppositionsführerin Julia Timoschenko bereits wieder die Strippen
Die neue Staatsführung sichert ihre Macht ab und lässt den Ex-Präsidenten jagen. Das irritiert den Westen und nährt Ängste vor einer Spaltung des Landes.

Landesweite Fahndung wegen "Massenmordes": Wenn es um die Abrechnung mit dem geflüchteten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch geht, machen die neuen Machthaber in der Ukraine keine halben Sachen. Härte, die inzwischen aber auch die EU irritiert. Rachegelüste dürften nicht die neue Politik in der Ukraine bestimmen, warnte Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Aus Moskau, das dem Machtwechsel im Nachbarland ohnehin skeptisch gegenübersteht, kommen naturgemäß noch weit kritischere Töne. Nachdem man schon am Wochenende den Botschafter aus Kiew nach Hause abberufen hatte, machte am Montag Premier Medwedew Russlands Haltung zur aktuellen ukrainischen Regierung deutlich. Diese sei nicht rechtmäßig, ihre internationale Anerkennung eine Verirrung: "Mit Menschen, die in schwarzen Masken durch Kiew schlendern und sich als Regierung bezeichnen, wird die Arbeit sehr schwierig."

Timoschenkos Team

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People hold up signs during a protest across the street from the Ukraine Consulate in the Manhattan borough of New York February 23, 2014. Hundreds gathered to call for peace during this tumultuous time in the former Soviet state. . REUTERS/Carlo Allegri (UNITED STATES - Tags: CIVIL UNREST SOCIETY)
Tatsächlich arbeitet die neue Staatsführung in der Ukraine mit Höchstgeschwindigkeit daran, ihre Machtpositionen auszubauen und zu festigen. Rund um ZentralfigurJulia Timoschenko, die bei den Wahlen im Mai für das Präsidentenamt kandidieren will, sollen sämtliche wichtigen Positionen mit Vertrauensleuten besetzt werden. So sind für das Amt des Regierungschefs wahlweise Arseni Jazenjuk, ehemals Fraktionschef von Timoschenkos Partei, oder Pjotr Poroschenko, einer ihrer wichtigsten Financiers, vorgesehen. Parlaments- und bis zur Wahl auch Staatspräsident, ist ohnehin einer ihrer engsten Vertrauten, Alexander Turtschinow. Politisch an den Rand gedrängt ist dagegen der Mann, der über Monate als der Kopf der Protestbewegung galt, Ex-Boxchampion Vitali Klitschko.

Die wichtigsten Kandidaten:

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Ukrainian opposition leader Yulia Tymoshenko addre
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Ukrainian opposition leader and head of the UDAR p
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UKRAINE GERMANY WESTERWELLE DIPLOMACY
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Opposition leader Poroshenko attends an anti-gover
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Head of the All-Ukrainian Union Svoboda Party Tyag

Behandlung in Berlin

Timoschenko selbst will noch vor dem Präsidentenwahlkampf ihr schweres Rückenleiden auskurieren. Anfang März wird sie sich deshalb in der Berliner Klinik Charité behandeln lassen. Sie leidet an den Folgen eines Bandscheibenvorfalls, den sie sich während ihrer zweieinhalbjährigen Haft zugezogen hat.

Vorerst läuft die Machtübernahme ebenso rasant wie ruckfrei. Sogar die Sicherheitskräfte, die vor wenigen Tagen noch Janukowitsch und seine Regierung mit blanker Gewalt verteidigten, haben konsequent die Seiten gewechselt. Die Polizei, oft Seite an Seite mit den bewaffneten Milizen der Protestbewegung, sorgt für Ordnung. Einige der gefürchteten Berkut-Sondereinheiten, die besonders brutal gegen die Demonstranten vorgegangen waren, wurden aus der Hauptstadt abgezogen und in die Kasernen beordert.

Moskau-treue Krim

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Doch je weiter man in der Ukraine nach Osten kommt, desto mehr verliert sich die Begeisterung über den Machtwechsel. In russisch dominierten Städten wie Charkiw misstraut man dem Timoschenko-Clan. Doch eine Spaltung des Landes komme auch hier, in der Hochburg von Ex-Präsident Janukowitsch, für kaum jemanden in Betracht, berichtet ein Reporter der britischenBBC. Auch hier sei man froh, Janukowitschs korruptes Regime los zu sein. Der Janukowitsch-treue Gouverneur ist verschwunden.

Ebenso Russland-freundlich, aber weit weniger friedlich gibt man sich auf der Halbinsel Krim. In der Stadt Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, will man sich der neuen Führung in Kiew auf keinen Fall fügen. "Faschisten" nennt man sie hier bei einer Demonstration, bei der meist russische Fahnen geschwenkt werden.

Dass die neue Regierung in Kiew angekündigt hat, Russisch nicht mehr als Amtssprache anerkennen zu wollen, empfinden die Menschen dort als feindlichen Akt gegen sie: "Die neue Macht will die Russen ihrer Rechte und ihrer Staatsbürgerschaft berauben."
Sie setzen auf Rückendeckung aus Moskau – und die wird ihnen zugesagt, wie ein Mitglied von Putins Regierung gegenüber der Tageszeitung Moscow Times klarmacht: "Wir werden die Krim verteidigen – so wie wir es in Georgien getan haben."

Bildreportage aus Kiew:

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Als Mitglied der – mittlerweile fliehenden – ukrainischen Staatselite lebte es sich bis Freitag offenbar bestens: Einer von ihnen ist Ex-Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka, dessen Prachtvilla vor Luxus, Ikonen, Madonnengemälden, Kitsch und superteurem Schnick-Schnack nur so strotzt. Am Samstag setzte sich Pschonka in die Ostukraine ab, seine Leibwächter schossen ihm den Weg frei. Die Villa jenes Mannes, der auch für den Schießbefehl auf die Demonstranten verantwortlich ist, steht nun leer.

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Pschonka Villa…
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Pschonka Villa…
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Pschonka Villa…
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Pschonka Villa…

Der Westkurs, den die neuen Machthaber der Ukraine einschlagen wollen, könnte den Westen teuer zu stehen kommen. Denn die ehemalige Sowjetrepublik steht vor dem Staatsbankrott. Und braucht, so Finanzminister Juri Kolobow, heuer und im nächsten Jahr bis zu 35 Milliarden Dollar (25,5 Mrd. €) Finanzhilfe. Kolobow rief die EU, die USA und den Internationalen Währungsfonds am Montag auf, in den kommenden zwei Wochen eine Geberkonferenz zu organisieren, um einen Hilfsplan auszuarbeiten.

Die wirtschaftliche Lage der Ukraine ist katastrophal. Die Wirtschaft wächst bereits das zweite Jahr in Folge nicht mehr, die Industrie schrumpfte 2013 sogar um rund fünf Prozent. Die Landeswährung Grywna hat in nur drei Monaten zehn Prozent gegenüber dem Euro an Wert verloren.

Die Gesamtverschuldung kletterte Ende 2013 laut Schätzungen auf 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: 2007 hatte die Schuldenquote erst 12,3 Prozent ausgemacht. Das Budgetdefizit und das Leistungsbilanzdefizit dürften jeweil acht Prozent des BIP von rund 130 Milliarden Euro ausmachen. Russland – die Ukraine ist wirtschaftlich und vor allem wegen der Gaslieferungen völlig von Moskau abhängig – hatte zwar Kredite von 18 Milliarden Dollar zugesagt. Als die Regierung auf Druck der Opposition zurücktrat, stoppte Russland Ende Jänner allerdings diese Kredite.

Geblieben sind die Schulden, allein heuer muss die Ukraine fast 13 Milliarden Dollar (9,5 Mrd. €) zurückzahlen. Die Devisenreserven sind erschöpft, sie sind mit 127,8 Milliarden Dollar auf ein Sechs-Jahre-Tief gefallen. Sie reichen nicht für die Schuldentilgung, denn die Ukraine muss auch Geld für die russische Gasrechnung bereit halten.

Reformen

Die potenziellen Geldgeber USA, IWF und EU sind zwar zu Finanzhilfen bereit, die USA und auch Großbritannien haben ihre Unterstützung für IWF-Hilfskredite angekündigt. Allerdings fordern sie Reformen. Der Währungsfonds etwa drängt darauf, dass der Wechselkurs der Landeswährung Grywna freigegeben wird. Und er fordert mehr Transparenz in der undurchsichtigen Energiebranche. Die von der Regierung bisher massiv subventionierten Gaspreise für Privathaushalte müssten erhöht, jene für die Industrie gesenkt werden.

Auch die EU muss, so Hannes Swoboda, Fraktionsführer der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Finanzhilfen an Bedingungen knüpfen. Unter anderem müssen die Korruption bekämpft und oligarchische Strukturen zerschlagen werden.

Wie sich der Sparkurs auf die österreichischen Banken auswirkt, ist vorerst offen. Die Raiffeisen Bank International (RBI) hat über ihre Tochterbank Aval für die ersten neun Monate 2013 Kredite von 3,6 Milliarden Euro vergeben, bei der Bank Austria sind es 2,7 Milliarden. Über Risikovorsorgen schweigen sie sich aus.

Nachdem am Freitag Regierung und Opposition eine Vereinbarung unterschrieben hatten und das regierungsfeindliche Lager weiter den Rücktritt Viktor Janukowitschs forderte, blieb dem Noch-Präsidenten nicht mehr viel Zeit. Hals über Kopf floh er mit seinem Vertrauten Andrej Kljujew, dem Chef des Präsidialamtes, aus der Hauptstadt. Kljujew ist als Unternehmer, gemeinsam mit seinem Bruder Sergej, auch in Wien sehr umtriebig. Aus seinem Anwesen bei Kiew, "Meschiguirja", konnte er nicht viel mitnehmen – was die Scharen an Regierungsgegnern freute, die seit dem Wochenende zu dem Anwesen pilgern.

Mit zwei Hubschraubern flogen Janukowitsch und Entourage – und angeblich 650 Millionen Dollar – am Freitagabend nach Charkiw in die Ostukraine. Die Verfolger im Nacken ging es am Samstag gleich weiter zum Flughafen seiner Geburtsstadt Donezk, wo zwei Privatjets bereitstanden. Doch der Grenzschutz ließ den mittlerweile abgesetzten Staatschef nicht abreisen – es fehlten angeblich notwendige Dokumente. Das sagte der Sprecher des Grenzschutzes, Sergej Astachow, zur Agentur Interfax.

Stattdessen ging es mit einer gepanzerten Limousine weiter – zur Staatsresidenz von Donezk. Nach ein paar Stunden fuhr der Konvoi mit Janukowitsch und Kljujew über Nacht auf die Halbinsel Krim, wo er am Sonntag ankam. Seither verzichtet er, in staatlichen Unterkünften Zuflucht zu suchen.

Als er erfuhr, dass ihm Innenministerium und Geheimdienst auf den Fersen sind, startete er in Richtung internationalem Flughafen Sewastopol. Doch die Fahrt musste er abbrechen. Er fuhr stattdessen zu seiner Privatresidenz bei Balaklawa.

Handys abgedreht

Dort stellte er seinen Leibwächtern frei, ihn zu verlassen. Eine Handvoll Secret-Service-Beamte blieben dem Ex-Präsidenten dennoch weiter treu. Die Wachen, Andrej Kljujew und Janukowitsch stiegen daraufhin in drei Autos ein. Sie ließen alle mobilen Geräte zurück oder drehten sie ab. Dann verloren die Beamten des Innenministeriums vorläufig die Spur Janukowitschs. Gerüchten zufolge soll er in einem Bunker sein. Er könnte demnach russische Helfer haben, angeblich Marinesoldaten.

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