Ist Belarus Putins nächstes Ziel?
Aleksandr Lukaschenko war noch nie ein Freund der Zurückhaltung. Die Rede, die der belarussische Autokrat kürzlich im Parlament hielt, war aber selbst für ihn bemerkenswert: Der Westen wolle die „russisch-ukrainische Bruderschaft in Blut ertränken“, sagte er da. Er werde seinem Freund Wladimir Putin selbstredend zur Seite stehen – und nötigenfalls für ihn in den Krieg ziehen.
Neue Liebe
Das sind neue Töne. 2014, als der Kreml die Krim annektierte, gab Lukaschenko noch den neutralen Mediator zwischen Ost und West – in Minsk wurde auch das Abkommen zur Beruhigung des Konflikt unterzeichnet. Seit den Wahlfälschungen 2020, seit das Volk auf der Straße gegen ihn rebelliert, hat er aber seine Liebe zu Moskau neu entdeckt – oder entdecken müssen: Der Kreml half ihm damals mit Einsatztruppen, die Proteste blutig niederzuschlagen.
Diese Abhängigkeit könnte Putin jetzt ausnutzen, so die Sorge im Westen. Denn während die Welt auf die Ukraine blickt, schickt Russland Soldaten nach Belarus – bis zu 30.000 Mann werden derzeit für ein Manöver verlegt, die Übung soll von 10. bis 20. Februar dauern. Dies könnte nur „Tarnung“ sein, vermutete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kürzlich.
Möglich halten Experten zweierlei: Eine Invasion der Ukraine von der Nordseite, schließlich ist Kiew nur 200 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt. Dies sei sogar weit wahrscheinlicher als ein Angriff im Donbass, argumentiert der Militärexperte Rob Lee vom Londoner King’s College. Befürchtet wird auch eine Annexion. Die jetzige Stationierung der Truppen könnte nämlich „Teil des endgültigen Plans sein, Belarus zu unterwerfen und zu okkupieren“, schrieben 77 EU-Parlamentarier jetzt in einem offenen Brief an alle EU-Institutionen. „Die russische Führung nützt die erhöhte Aufmerksamkeit für die Ukraine, um fast unbemerkt in anderen Teilen der Welt, beispielsweise in Belarus, aber auch in Syrien, Armenien und Aserbaidschan, Tatsachen zu schaffen“, sagt der österreichische EVP-Abgeordnete Lukas Mandl, der den Brief unterzeichnet hat.
USA schicken Soldaten
Für die NATO wäre eine schleichende Okkupation in Belarus, das ja eine direkte Grenze zu den baltischen NATO-Mitgliedern hat, eine neue Bedrohung. Nicht umsonst haben die USA ihr Botschaftspersonal aus Minsk abziehen lassen und angekündigt, jetzt 3000 Soldaten nach Polen, Rumänien und Deutschland zu schicken. Derzeit ist Belarus nämlich als Militärmacht nicht weiter erwähnenswert, es besitzt eine völlig veraltete Armee. Unter russischem Druck wäre aber eine Stationierung von Atomwaffen denkbar, so das US-Außenministerium.
Bisher war die russische Exklave Kaliningrad der westlichste Außenposten Russlands; eine Stationierung neuer Waffen dort ist für Moskau aber schwierig. In Belarus ist dies einfacher, zumal Lukaschenko Putin „dazu geradezu einlädt“, wie Dmitrij Trenin vom Moskauer Carnegie Center sagt. Die Gegenleistung, die Lukaschenko bekommen würde, wäre die Verlängerung seiner Macht – in erdrückender Umarmung Moskaus.
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