Die USA und Großbritannien drängen dabei auf ein hybrides Modell eines Tribunals, das in der Ukraine angesiedelt ist. Sie wollen das partout nicht. Wieso?
Derzeit liegen drei Modelle auf dem Tisch. Das erste wäre ein Abkommen zwischen der UNO und der Ukraine, das zweite ein Abkommen mit mehreren internationalen Partnern – so wie bei den Nürnberger Prozessen. Variante drei wäre das geforderte hybride Modell, das in die nationale Gerichtsbarkeit der Ukraine eingebettet wäre, aber internationale Richter hätte. Die USA, Japan und das Vereinigte Königreich bestehen auf dieses Modell, weil sie keinen für sie schädlichen Präzedenzfall schaffen wollen – damit keine ähnlichen Tribunale gegründet werden können, die von ihnen geführte Kriege verfolgen können. Das verstehe ich, aber uns gefällt das dennoch nicht. Zum einen, weil dafür eine Verfassungsänderung nötig wäre – und das ist während des Krieges verboten. Zum anderen würde dadurch der Krieg zu einem Zwei-Staaten-Konflikt reduziert, was das Ausmaß der Aggression Putins völlig ignoriert. Wir brauchen kein Urteil eines ukrainischen Tribunals, sondern eines internationalen Tribunals, eines der versammelten zivilisierten Welt.
Was wäre für Sie vorstellbar, wenn die USA und andere wichtige Partner blockieren?
Ein hybrides Tribunal, das in einem anderen Land angesiedelt ist, etwa in Den Haag. Man könnte das niederländische Recht als Basis nehmen, dazu eine Resolution der UNO zur Unterstützung des Sondertribunals. Diese Variante könnte Russland durch seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat auch nicht blockieren.
Kann das Tribunal überhaupt arbeiten, wenn Putin selbst nicht anwesend ist?
Ja, die Fälle können auch in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt werden. Aber nicht nur ich, sondern alle in der Ukraine hoffen darauf, dass Putin tatsächlich dort stehen wird.
Glauben Sie, dass da je passieren wird? Ist es durch Prigoschins Meuterei vielleicht sogar wahrscheinlicher geworden, dass Putin gestürzt und ausgeliefert wird?
Nein, das glaube ich leider nicht. Wie ein Land, so die Meuterei: Das war eine „Mütterchen-Meuterei“, die niemals eine Chance hatte, Putin zu entmachten. Die Lage hat sich dadurch nicht verändert.
Vor dem Sondertribunal würde das Verbrechen der Aggression verhandelt werden. Wie kann man Putin das überhaupt nachweisen?
Das Verbrechen der Aggression wird in mehreren UN-Resolutionen erwähnt. Es besteht schlicht daraus, dass ein Land ein anderes angreift, um dessen Souveränität zu verletzen. Aus juristischer Sicht konnte diese Entscheidung in Russland nur eine Person treffen, und zwar der Präsident. Bei der Sondersitzung des Sicherheitsrates hat Putin genau das getan, am nächsten Tag im TV genauso. Das macht die juristische Beweisführung ziemlich einfach.
Wer sollte außer Putin noch vor dem Richter stehen?
Alle, die an dem Sicherheitsratstreffen teilnahmen – Schoigu, Patruschew, Medwedew, Lawrow. Natürlich sind auch etwa der Leiter des Generalstabs, Gerassimow, oder auch die Kommandeure an der Front Kriegsverbrecher. Sie alle können aber vom Internationalen Strafgerichtshof direkt verfolgt werden. Wir wollen hingegen das spezielle Verbrechen der Aggression – also die initiale Entscheidung über die Invasion – vor den Richter, vor das Sondertribunal bringen.
Wenn die Angeklagten dort verurteilt würden, aber physisch nicht anwesend wären – was wäre ein solches Urteil dann wert? Wäre das nicht nur ein symbolischer Akt?
Wenn wir es schaffen, an diesem Tribunal eine breite Front internationaler Akteure zu versammeln, werden wir Wladimir Putin isolieren, und das in der ganzen zivilisierten Welt. Selbst, wenn er bis an sein Lebensende nicht verhaftet wird, kann er sich dann nur mehr in einem sehr begrenzten Rahmen bewegen, er kann außer in den Iran und nach Nordkorea nirgends mehr hin.
Das reicht Ihnen?
Natürlich wollen wir mehr. Aber wenn wir realistisch sind, müssen wir akzeptieren, dass das leider ein realistisches Szenario ist. Aber: Symbolisch würde so ein Urteil nie bleiben, denn weltweit stattfindende Aggressionen wie jene Putins könnten durch so ein Tribunal nicht mehr so leicht ignoriert werden.
Bekommen Sie in puncto Tribunal Unterstützung aus jenen Ländern, die Russland für sich reklamiert, die es als „Russkij Mir“ – also die russische Welt – betrachtet?
Das ist von Land zu Land verschieden. Jene Länder, die territorial nahe an Russland sind, schweigen oft einfach – das ist für uns ein stilles Einverständnis zu Putins Politik. Die Republik Moldau aber etwa unternimmt alles Notwendige, um Schulter an Schulter mit der Ukraine zu stehen.
Welche Signale kommen denn aus Österreich?
Österreichs Position gefällt uns, weil Wien Putins „funktionale Immunität“ im Zusammenhang mit dem Verbrechen der Aggression nicht unterstützt – es sieht ihn nicht als immun an, nur weil er Präsident ist. In puncto Tribunal-Modelle hat Österreich noch keine Entscheidung getroffen, man überlegt noch. Wir hoffen, dass Österreich seine Rolle in dem Prozess noch wahrnehmen wird.
Sie bearbeiten für das Büro des Präsidenten auch ein anderes Thema, die eingefrorenen russischen Gelder, die die Ukraine als Reparationszahlungen erhalten könnte. Auch in Österreich liegen viele solcher Mittel – wie geht die Arbeit voran?
Das hängt ausschließlich vom politischen Willen der Länder ab, die die Gelder eingefroren haben. Beim Vermögen gibt es zwei Typen: das Geld jener Russen, die die Invasion aktiv unterstützen, und das Geld der russischen Föderation. An das staatliche Geld zu kommen ist sehr schwierig, weil es unter Garantie der Drittländer veranlagt worden ist. Der Zugang zum Geld russischer Staatsbürger ist einfacher und schneller. Die EU versucht gerade, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Gelder zur Wiedergutmachung zu verwenden - hier geht einiges voran, an diese Mittel werden wir hoffentlich bald kommen.
Anmerkung der Redaktion: Die ukrainischen Namen - Smyrnov oder Selenskyj - sind auf Wunsch des Büro des Präsidenten in diesem Text in ukrainischer Transliteration wiedergegeben.
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