Warum lebt Wagner-Chef Prigoschin eigentlich noch?

Warum lebt Wagner-Chef Prigoschin eigentlich noch?
Seit der Meuterei ist der Söldnerchef zwar von der Bildfläche verschwunden, doch Putin verharrt in Untätigkeit. Diese Strategie könnte nach hinten losgehen.

Wenn Wladimir Putin jemanden loswerden will, dann geht das eigentlich meist schnell. Nachdem Michail Chodorkowskij, damals Russlands reichster Mann, ihn 2003 im TV öffentlich der Korruption bezichtigt hatte, ließ der Kremlchef ihn direkt aus seinem Privatjet heraus festnehmen und zehn Jahre ins Gefängnis verfrachten.

Boris Nemzow, jener Oppositionelle, der am heftigsten an Putins Macht rüttelte, wurde 2015 in Sichtweite des Kreml erschossen; und dass bei Alexej Nawalnys Vergiftung 2020 der Kreml seine Finger im Spiel hatte, gilt mittlerweile als bewiesen.

Da stellt sich die Frage: Warum ist jener Mann, der vor drei Wochen schlagzeilenträchtig mit seinen Söldnern nach Moskau zog und der Russlands Armeeführung auf derbste Weise aus ihrem Amtssitz jagen wollte, dann noch am Leben?

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Treffen zwischen Prigoschin und Putin im Kreml

Diese Frage stellen sich in Russland nicht wenige. Denn der Umgang des Kreml mit Jewgenij Prigoschin, den Putin in seiner TV-Ansprache öffentlich des „Verrats“ bezichtigt hatte, ist mehr als ungewöhnlich: Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, sein Vermögen wurde teilrückerstattet, und er kann ungehindert durch Russland reisen – Flugbewegungen zeigen, dass er mitnichten im belarussischen Exil hockt, sondern zuletzt zwischen Moskau und St. Petersburg hin und her pendelte.

Zwar hat der Kreml ganz offensichtlich „Kompromat“ über seinen ehemaligen Chefsöldner streuen lassen, also belastendes, diskreditierendes Material über seine Verbrechen vor seinem Engagement für die Staatsmacht. Zeitgleich bestätigte Putin am Freitag selbst, dass er Prigoschin nur fünf Tage nach dessen Meuterei im Kreml empfangen habe.

In der linientreuen Zeitung Kommersant erzählt der Kremlchef ausführlich von dem Treffen, an dem sein ehemaliger „Chefkoch“ sowie 35 Söldner teilgenommen hätten. Dabei plaudert Putin, dass er den Männern Prigoschins angeboten habe, weiterhin für ihn zu arbeiten; allerdings unter anderer Führung. Prigoschin, sagt der Kremlchef weiter, habe das aber abgelehnt, obwohl dessen Soldaten durchaus zugeneigt gewesen sein sollen.

Prigoschin dürfte mehr Unterstützer innerhalb der Armee haben, als vermutet

Die Taktik dahinter erschließt sich Beobachtern nur schwer. Alles daran wirke so, als wolle er dem Meuterer öffentlich vergeben, kommentieren russische wie westliche Beobachter. Prigoschin sei zwar geächtet, als Anti-Patriot gebrandmarkt, komme aber mit dem Leben davon, und dürfe vielleicht sogar in absehbarer Zeit wieder für den Kreml arbeiten.

Seine Söldner, gut 25.000 Männer, stehen laut Pentagon zwar nicht mehr an der Front, wurden aber auch nicht aus der Ukraine abgezogen. Jene Männer, die Prigoschin der Unfähigkeit bezichtigte, sind dafür nach wie vor im Amt.

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Gemutmaßt wird daher, dass Prigoschin in den Reihen der regulären Armee mehr Unterstützer haben könnte als vermutet; zumindest 30 hochrangige Armeeangehörige seinen geheime „VIP-Wagner-Mitglieder“, darunter auch Ex-Ukraine-Befehlshaber Sergej Surowikin, der seit der Meuterei verschwunden ist.

Das würde auch Prigoschins widerstandslosen Marsch nach Moskau erklären. Zudem ist die Unterstützung für Prigoschin in der Bevölkerung nach wie vor ungewöhnlich hoch: 30 Prozent der Russen sympathisieren mit ihm – auch nach der Meuterei.

Die Angst vor Nachahmern ist im Kreml groß

Nur: Putins ungewöhnliche Zurückhaltung könnte andere animieren, Ähnliches zu probieren. Nicht von Ungefähr kursieren Gerüchte, Ramsan Kadyrow, Putins stets treuer tschetschenischer Statthalter mit 60.000 nur ihm ergebenen Soldaten, hege plötzlich Unabhängigkeitsgedanken.

Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow im Porträt: Putins brutalster Scherge

Im Kaspischen Meer habe Moskau darum ein Kriegsschiff mit Kalibr-Raketen stationiert, berichtet Newsweek unter Verweis auf kremlnahe Quellen. Und auch in der sonst als träge verschrienen Armee, so sagt der russische Politologe Michail Komin, sei mittlerweile eine Meuterei denkbar: Die Unzufriedenheit in den unteren und mittleren Rängen sei so hoch, dass man „einen neuen, aber erfolgreicheren Staatsstreichversuch“ erwarten könne.

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