Ist das jetzt die große ukrainische Gegenoffensive?

Ist das jetzt die große ukrainische Gegenoffensive?
Kiews Kräfte schafften es über den Dnipro, die Besatzer begannen mit Evakuierungen - auch von Plünderungen ist die Rede. In den besetzten Gebieten ist die Lage ohnehin schwierig.

Es ist nur ein kleines Motorboot, das in dem Video über die Engstelle des Flusses Dnipro fährt. Für Kiew ist es aber ein nicht zu unterschätzender symbolischer Sieg: Ukrainische Kräfte haben es erstmals seit Kriegsbeginn geschafft, bei Cherson auf die von Russland besetzte Südseite des Dnipro vorzudringen – und dort auch ein Dorf zu befreien.

Ist das der Beginn der seit Langem erwarteten Gegenoffensive Kiews?

Noch nicht ganz, sagt Bundesheer-Stratege Markus Reisner im KURIER (nachzuhören im Daily-Podcast). Es sei vielmehr der Beginn der ersten Offensiv-Phase, genannt „Shaping“: Man versuche derzeit, die Rahmenbedingungen für den Großangriff zu schaffen. „Derzeit haben die Russen den Raum aber nach wie vor unter Kontrolle“, sagt Reisner. Der einzelne Angriff stelle – noch – keine Bedrohung dar. Aber: Würden sich die eingerichteten Brückenköpfe – wie eben die Dnipro-Überquerung – mehren, dann könnte die zweite Phase starten, die entscheidende. Wann das passieren, hänge maßgeblich vom Wetter ab: Derzeit haben beide Seiten mit der zweiten Rasputiza, der Schlammperiode, zu kämpfen. Für schweres Kriegsgerät wie etwa den Leopardpanzer, den die Ukrainer nun im Einsatz haben, sei das sehr ungünstig. „Der Boden muss erst hart werden“, sagt Reisner.

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Den Russen scheint die Dnipro-Überquerung jedoch zu schaffen zu machen, wie man in diversen prorussischen Telegramkanälen nachfühlen kann. Dort wird über Truppenbewegungen vom Gebiet am Südufer des Flusses berichtet, auch die ukrainische Seite berichtet über Evakuierungen. Zudem heißt es, es werde massiv geplündert: „Die Russen versuchen so viel zu stehlen, wie sie können“, sagt Oleksandr Samoylenko, Chef des Regionalrats in Cherson.

Ist das jetzt die große ukrainische Gegenoffensive?

„Ausreisen geht nicht“

Wie es den Menschen hinter der Demarkationslinie geht, darüber ist ohnehin nicht viel bekannt. Die Kommunikation zwischen den besetzten Teilen der Ukraine und dem Rest des Landes ist kaum möglich, da die Russen die Handynetze oft abdrehen; und wer Informationen über die Grenzlinie bekommt, muss mit Strafen rechnen. Ausreisen sei ohnehin unmöglich, sagt Artjom Lysohor, Chef der Militärverwaltung im seit 2014 besetzten Lugansk in einem Medienbriefing: „Vor allem für Männer gilt das. Wenn man sich mit irgendeinem Anliegen an die neu eingesetzten Behörden wendet, wird man schnellstens eingezogen.“

Das Überleben dort, sagt Lysohor, sei kompliziert. In der Nähe der Kampzone gebe es großflächig kein Wasser und keinen Strom, und die neu installierten russischen Besatzungsbehörden würden die Menschen davon zu überzeugen versuchen, dass sie russische Pässe annehmen - teils auch unter Zwang. 

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