Leben im besetzten Melitopol: "Die Verschleppten kommen nie mehr zurück“

Leben im besetzten Melitopol: "Die Verschleppten kommen nie mehr zurück“
Die Russen haben im besetzten Melitopol ein Regime der Angst aufgebaut – Menschen werden entführt, zu essen gibt es viel zu wenig. Eine Betroffene berichtet.

Wie Mascha wirklich heißt, will sie nicht sagen. Sie hat zu viel Angst davor, dass es ihr ergeht wie vielen anderen im besetzten Melitopol:  „Wenn ich auf die Straße gehe, nehme ich mein Handy nicht mit“, sagt die Studentin, die Verbindung bricht immer wieder ab. „Sie checken alles, die sozialen Netzwerke. Finden sie etwas Verdächtiges, nehmen sie einen einfach mit.“

Melitopol war eine der ersten Städte, die Russland besetzen konnte. Mascha ist dort mit ihrer Mutter gefangen, sie kann nicht raus; seit einem Monat lebt sie dort in der  „neuen Realität“, wie die von Moskau eingesetzte Bürgermeisterin sagte. Der echte Bürgermeister wurde entführt – mit einem Sack über dem Kopf.

 

Mittlerweile wurde er entlassen, er hält vom nahen Zaporischschja aus  mit den Bürgern Kontakt. In der angeblich „befreiten“ Stadt selbst „herrscht  eklatanter Lebensmittelmangel“, sagt Mascha. Das, was noch verfügbar ist – Brot und Milch – koste das Drei- bis Fünffache. Die Besatzer haben  ein Regime der Angst aufgebaut: Männer müssen sich auf der Straße ausziehen, werden auf Symbole des Azow-Battalions gefilzt; also jener umstrittenen Einheit, die die Russen als „Nazis“ verfolgen. Dabei gehe es hauptsächlich um Druck: „Jeder, der nicht überläuft, wird unter Druck gesetzt. Behörden, Firmen, Zeitungen, Fernsehen.“ 

Kein Fluchtweg

Protestieren traue sich daher kaum jemand mehr. „Bein den anfänglichen Protesten wurden die Leute auseinandergetrieben und an unbekannte Orte verschleppt. Menschen, die einfach nur Flaggen hielten“, sagt Mascha. „Sogar ein fünfjähriges Kind wollten sie mitnehmen. Und die Verschleppten, die kommen nie mehr zurück“, sagt sie. 

Jetzt, da der Krieg nicht mehr ganz so läuft wie erhofft, habe zudem das große Stehlen eingesetzt. „Jetzt haben die Besatzer kapiert, dass sie wohl nicht lange bleiben werden, und beginnen mit Plünderungen.“ Ruhe vor den Kämpfen sei auch nicht eingekehrt. Knapp über Maschas Kopf sei kürzlich sogar  ein Splitter der  Flugabwehr eingeschlagen, erzählt sie. „Dass man sich dann nirgends verstecken kann, ist  das Unheimlichste.“

Bejubelt, so wie Moskau es darstelle,  habe den Einmarsch in Melitopol übrigens niemand. „Es gibt niemanden hier, der glücklich ist über das, was passiert.“ Im Gegenteil: Viele ihrer Verwandten hätten sich freiwillig zum Kampf gemeldet, selbst ihr Onkel, der seit 20 Jahren in Italien lebe. Das macht Mascha Hoffnung: „Wir glauben daran,  dass die Russen sich für alles, was sie tun, verantworten werden müssen. Und dass am Ende  alles gut wird“, sagt sie. Dann bricht die Verbindung wieder ab.

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