US-Milliarden fließen: Europa sucht weiter nach Waffen und Geld für die Ukraine
Es klang ein bisschen nach überfälliger Hausübung, die Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock an diesem Montag gleich in der Früh einforderte. "Ich appelliere eindringlich, dass da noch jeder einmal in seine Bestände zuhause schaut", mahnte die Grüne zu Beginn des EU-Außenministertreffens in Luxemburg. Was die Kollegen dort als allererstes suchen sollen, machte Baerbock auch gleich deutlich: "Luftverteidigungssysteme".
Russland zerbombt gerade die Infrastruktur der Ukraine
Die braucht die Ukraine in diesen Tagen ganz offensichtlich am Nötigsten. Russland nützt derzeit seine klare Luftüberlegenheit vor allem dazu aus, um die Infrastruktur der Ukraine zu zerstören. Zwei Drittel der ukrainischen Stromversorgung sollen bereits beschädigt, oder zerstört sein, für Militärexperten das Vorspiel für die erwartete Frühjahrsoffensive.
Die ukrainische Luftabwehr ist unterdessen deutlich geschwächt. Die Raketenbatterien aus sowjetischen Beständen sind zum Großteil zerstört. Rund ein halbes Dutzend US-Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot wurden geliefert, etwa die Hälfte ist noch funktionsfähig.
Prüfung der EU
Aus Berlin kam vor wenigen Tagen die Zusage, eine weitere Patriot-Batterie aus deutschen Beständen in die Ukraine zu schicken. Doch weitere werden so schnell nicht folgen. Die Außenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten erklärten bei ihrem Treffen in Brüssel nur, sie würden prüfen, wie die Luftabwehr der Ukraine gestärkt werden könne.
Vor allem Spanien und Griechenland hätten doch genügend dieser Patriots in ihren Beständen. "Dringender Bedarf an Luftabwehr besteht dort wohl nicht", zitiert die Tageszeitung Financial Times einen hochrangigen EU-Diplomaten, der anonym bleiben wollte. Doch auch die Wortmeldungen von Regierungschefs aus dem Osten der EU richten sich unüberhörbar an die ihrer Ansicht nach säumigen Kollegen im Süden und im Westen. "Ich hoffe, die Entscheidung in Washington bringt auch andere Verbündete dazu, ihre Lagerhallen zu durchforsten und endlich mehr zu tun", meinte etwa die estnische Premierministerin Kaja Kallas. Vorerst aber, so ergab die Sitzung der EU-Außenminister gibt es keine Zusage für weitere Patriot-Lieferungen an die Ukraine.
Artillerie-Munition
Mehr als 10.000 Granaten werden allein von der russischen Armee täglich in der Ukraine verschossen. Entsprechend groß ist der Bedarf auch bei den Ukrainern. Es geht vor allem um Granaten vom Kaliber 155 Millimeter.
Boden-Boden-Raketen
Sie sind die effektivste Waffe gegen anrückende Panzerverbände, werden also auch direkt an der Front im Osten der Ukraine gebraucht.
Himars-Granatwerfer
Diese Granatwerfer aus US-Produktion haben eine Reichweite bis zu 150 Kilometer. Als sie im Vorjahr an die Ukraine geliefert wurden, konnte die erstmals weiter entfernte russische Stellungen angreifen. Jetzt geht die Munition für diese Granatwerfer zur Neige.
Raketenabwehr
Raketenbatterien vom Typ "Patriot", oder vergleichbare Systeme aus europäischer Produktion werden dringend gebraucht, um Infrastruktur und Städte zu schützen.
Marschflugkörper
Die Ukraine kann mit Marschflugkörpern, oder anderen weitreichenden Raketensystemen russische Infrastruktur, etwa auf der Halbinsel Krim angreifen. Daher ist die Lieferung dieser Waffensysteme in Europa heftig umstritten. Frankreich etwa liefert, Deutschland weigert sich.
In Europa herrscht dazu ein kleinlicher Streit
Eine Debatte, wie sie in der EU in den letzten Monaten wiederholt geführt wird. Jedes Land liefert nach eigenem Gutdünken Waffen an die Ukraine, auch um das dann den anderen Staaten recht kleinlich vorzurechnen und deren Säumigkeit zu betonen. So hält Frankreich Deutschland vor, dass man noch immer nicht die Marschflugkörper vom Typ Taurus in die Ukraine geschickt habe. In Berlin hat man ja weiterhin Bedenken, dass die Ukraine diese für Angriffe auf russische Städte und Infrastruktur nutzen könne. Deutschland wiederum stellt Berechnungen über die vergleichsweise bescheidenen französischen Waffenlieferungen an, die dann aus Paris wiederum wütend dementiert werden.
Wurden alte Bestände aus Sowjetzeiten ausgeräumt und als Militärhilfe verrechnet?
Zugleich wirft Deutschland den ehemals kommunistischen Ländern im Osten der EU - also etwa den baltischen Ländern, der Slowakei oder Tschechien - vor, dass sie vor allem ihre Altbestände aus den Tagen der Sowjetunion geplündert, in die Ukraine geschickt - und das dann sehr großzügig der EU als Militärhilfe verrechnet hätten.
Der kleinliche Streit um Geld und Waffen überschattet allerdings die eigentlich großzügige Hilfe Europas für die Ukraine. Mehr als 100 Milliarden Euro hat man bereits ausgegeben, für Waffen, Munition und natürlich humanitäre Hilfe. Weitere 50 Milliarden haben die EU-Regierungschefs Ende des Vorjahrs fix zugesagt.
Doch wenn es um die praktischen Details geht, verheddern sich die EU-27 viel zu oft in langwierigen Debatten. Eine Million Granaten hat man der Ukraine schon vor Monaten versprochen, doch während an der Front die Artilleriemunition knapp wird, ist ein Großteil dieser Lieferung weiter ausständig. Tschechien hat schon vor Monaten eine Initiative auf eigene Faust gestartet, um diese Granaten, wenn sie schon in Europa nicht mehr zu kriegen sind, anderswo zu besorgen. Prag nahm Kontakt mit Ländern von der Türkei bis in den Süden Afrikas auf, um die dortigen Bestände aufzukaufen.
Mit dem Hut in der Hand
Zugleich, so formuliert es ein tschechischer Diplomat gegenüber dem KURIER, laufe man "mit dem Hut herum", um das Geld für die Granaten zusammenzukratzen. Länder wie die Niederlande, oder Dänemark erklärten sich gleich bereit, mit zu zahlen. Bei anderen brauchte es mehr Überredungskunst. Inzwischen aber sind 20 EU-Staaten bei der Initiative dabei - und die Granaten voraussichtlich bald unterwegs. Die der USA werden trotzdem früher an der Front, wo sie so dringend benötigt werden, eintreffen. Denn das US-Militär hat seine Bestände bereits an die Grenze zur Ukraine verlegt, noch bevor sich die Politik in Washington einigen konnte. Jetzt kann man rasch handeln, während Europa noch verhandelt.
Kommentare