Aus Mailand Andrea Affaticati
Eine Frau, sie steht fast bis zur Hüfte im Wasser, hält ihre Tochter auf dem Arm und ruft: „Rettet mein Kind!“ Prompt springen zwei Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite in die grauen, schlammigen Fluten, schwimmen zu ihr, bringen zuerst das Kind und dann die Mutter in Sicherheit.
Zahlen machen Katastrophen messbar, sie können aber nicht immer die Dramatik der Situation veranschaulichen. Fotos und Videos, wie jenes dieser Mutter aus Cesena, können das. In einer anderen Aufnahme ist ein Soldat zu sehen, der einen alten Mann mit einem Sackerl in der Hand – darin wahrscheinlich ein paar Habseligkeiten – auf dem Rücken durch das Wasser trägt. Es steht ihm fast bis zum Hals.
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Die sintflutartigen Regenfälle, die sich in weniger als zwei Wochen vor allem über den südlichen Teil der Region Emilia-Romagna ergossen haben, haben inzwischen 14 Menschenleben gefordert. Elendig sind auch Hunderte Tiere ertrunken. Ein Foto zeigt einen Schweinestall, wo die Tiere nur mehr den Kopf über Wasser halten können. Palma Maraldi aus Cesena, 73 Jahre alt, und ihr Mann Sauro Manuzzi, 69, wollten ihre Tiere retten, doch das Hochwasser verschlang sie.
Von Bologna bis zur Adria
Besonders betroffen sind die Gegenden um Imola, wo dieses Wochenende das alljährliche Formel-1-Rennen hätte stattfinden sollen. Es wurde rechtzeitig abgesagt. Ein Konzert von Bruce Springsteen in der nahe gelegenen Stadt Ferrara fand stattdessen statt, was für heftige Kritik sorgte.
Von Faenza, der Stadt der Keramiken, bis hinunter zur Adriaküste, wo die Strandbäder schon alles für die Sommersaison hergerichtet hatten, steht die Region unter Wasser. Rimini wurde bis jetzt verschont, den angrenzenden Badeort Riccione hat es mit voller Wucht erwischt. Selbst in Bologna erinnert der Anblick der überfluteten Piazza Maggiore an den Markusplatz in Venedig.
Insgesamt sind 23 Flüsse übergetreten und haben in 42 Gemeinden alles, was ihnen im Weg stand, mit sich gerissen. Mittlerweile haben mehr als 10.000 Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Der Bischof von Faenza sprach von einer „kleinen Apokalypse“.
Hunderte Freiwillige sind in das Katastrophengebiet gereist, um mitzuhelfen. Außerdem sind 750 Feuerwehrleute sowie 800 Männer und Frauen des Streitkräftekorps Carabinieri im Einsatz. Ohne Pause überfliegen Helikopter und Kampfjets die Gegend.
Ein Feuerwehrmann erzählt von einer hochriskanten Rettungsaktion zweier Kleinkinder in der Nähe von Forlì: „Mir kommt jetzt noch die Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt der Mann, der die beiden an einen Hubschrauber übergeben hatte. „Es war fürchterlich windig. Die Kleine, selber gerade einmal zwei Jahre alt, hat ihren wenige Monate alten Bruder immer wieder gestreichelt und zu beruhigen versucht.“
Äcker und Strände verwüstet
Die Regierung hat vorerst 200 Millionen Euro bereitgestellt. In einer Pressekonferenz am Donnerstag schätzte der Präsident der Region Emilia-Romagna, Stefano Bonaccini, die Schäden auf mehrere Milliarden Euro. Für Coldiretti, Italiens mitgliederstärksten Landwirtschaftsverband, ist es im Moment nicht möglich, die Schäden für die Bauern zu beziffern. Die Obst-, Getreide- und Gemüseanbauflächen erstrecken sich über Tausende von Hektar. All das steht nun unter Wasser. „Und wenn es nicht schnell abfließt, könnte das die Wurzeln von Tausenden von Bäumen angreifen“, heißt es.
Auch die Schäden für den Tourismus sind noch unberechenbar. Anders als bei der Landwirtschaft würde sich die Instandsetzung der Strände jedoch leichter gestalten.
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