CDU-Chef Merz: "Lieber Jahrzehnte in Opposition als zehn Tage im Dschungelcamp"

59,2 Millionen Deutsche dürfen bei der bei Bundestagswahl in einer Woche ihre Stimme abgeben. Umfragen zufolge ist fast ein Drittel der Stimmberechtigten noch unentschieden, wen und ob sie wählen. Ob das TV-"Quadrell" am Sonntagabend auf RTL, das erste und einzige TV-Duell der vier stimmenstärksten Parteien, ihnen eine Entscheidungshilfe war, ist unklar.
Schlussendlich doch zivilisierter als erwartet, aber wenig erkenntnisreich diskutierten Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (Union), Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne). Dominierendes und einleitendes Thema war wenig überraschend nach dem jüngsten Anschlag eines Afghanen in München die Migration: Kanzler Scholz rechtfertigte seinen harten Kurswechsel und seine Aussage "im großen Stil abschieben" zu wollen: "Wir haben bei Abschiebungen eine Steigerung von 70 Prozent seit Beginn meiner Amtszeit." Merz plädierte für Verhandlungen mit den Taliban, doch dafür habe der "politische Wille gefehlt und wurde von Teilen der Koalition konterkariert" – eine Spitze gegen Habecks Grüne.
Der konterte, dass kein Land mit den Taliban diplomatische Beziehungen unterhalte, und appellierte für eine Absprache mit den europäischen Partnern: "Ein nationaler Alleingang würde Europa weiter auseinandertreiben." Scholz verwies auf den Abschiebeflug von Straftätern nach Afghanistan im Sommer: "Und wir werden weitere durchführen." Wann, wollte er nicht sagen.
Dann war Weidel am Wort: Sie versprach 24-Stunden-Grenzsicherung und konsequente Abschiebungen: "Die Menschen wollen diesen Kontrollverlust im Land nicht mehr haben."
Reizthema Brandmauer
Es folgte ein Schlagabtausch zwischen Scholz, Merz und Weidel: Merz, der Anfang Februar im Bundestag die Zustimmung der AfD bei einem Antrag zur Migrationsbegrenzung in Kauf nahm, wiederholte sein Bekenntnis zur Brandmauer und warnte einmal mehr vor österreichischen Verhältnissen: "Ich werde alles dafür tun, um zu verhindern, dass die AfD die stärkste Fraktion im Parlament wird." Dazu, dass US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz für ein Ende der Brandmauer aufgerufen hatte, sagte Merz, er lasse sich von einem amerikanischen Vizepräsidenten doch nicht sagen, "mit wem ich in Deutschland regieren soll".
Scholz sagte, man habe aus der Erfahrung des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, dass es keine Zusammenarbeit mit den extrem Rechten gebe, und attackierte Merz für die Abstimmung mit der AfD. Weidel wies den Vergleich als "unverschämtes Framing" zurück: "Sie können mich beleidigen wie sie wollen. Sie beleidigen Millionen von Wählern."
Angesprochen auf die Aussage des AfD-Bundestagsabgeordneten Alexander Gauland 2018, der Nationalsozialismus sei "nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" gewesen, antwortete Weidel: Dazu müsse man ihn selbst einladen und befragen.
Die Umfragen zur Bundestagswahl (23. Februar) scheinen seit Wochen wie eingefroren: Die Union aus CDU und CSU führt mit 29 bis 32 Prozent, dahinter die AfD mit 20 bis 22 Prozent. Die Kanzlerpartei SPD folgt mit 14 bis 16 Prozent vor den Grünen mit zwölf bis 14 Prozent.
Allein auf den hinteren Plätzen hat es zuletzt Bewegung gegeben: Die Linke liegt mit fünf bis sieben Prozent aktuell vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und wäre damit wieder im Bundestag, während das BSW zwischen vier bis 5,5 Prozent und die FDP mit vier bis fünf Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten.
Rund 59,2 Millionen Deutsche sind wahlberechtigt – weniger als bei der Wahl 2021 (61,2 Millionen Personen). Mehr als 40 Prozent sind älter als 60 Jahre, die unter 30-Jährigen machen nur 13,3 Prozent der Wahlberechtigten aus.
Geeint gegen Weidel
Angriffslustig wurde Vizekanzler Habeck beim Thema Ukraine: "Sie würden sich Putin unterwerfen", so der Vizekanzler zu Weidel. Noch hitziger wurde es, als Weidel behauptete, die Bundestagswahl entscheide darüber, ob deutsche Soldaten in der Ukraine kämpfen sollten. Mit den deutschen Taurus-Marschflugkörper würden deutsche Soldaten mitgeliefert. Scholz, Habeck und Merz wiesen das entschieden zurück, "das ist eine Lüge", so Habeck, Merz stimmte ihm zu. Für Merz ein Anlass mehr zu betonen: Er werde alles dafür tun, um zu verhindern, dass die AfD jemals an die Macht komme.
Beim Thema Wirtschaft gab sich der sonst zeitweise unauffälligste Teilnehmer der Runde angriffig: "Da stehen die beiden, die die größte Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit zu verantworten haben", so Merz zu Habeck und Scholz. Er nannte als Beispiel das Lieferkettengesetz und das Abschalten der Atomkraftwerke. "Ich dachte, das wäre Putin", konterte Scholz. Es folgten gegenseitige Unterbrechungen.
Weidel sagte, die Energiepreise müssten durch Technologieoffenheit gesenkt werden. Als Weidel betonte, sie habe genügend Vorschläge gegen die Wirtschaftskrise in Deutschland gemacht, blaffte der Kanzler: "Die Zuschauer haben ja zugehört. Die haben von ihnen nichts gehört, außer heißer Luft."

Kanzler Olaf Scholz.
"Wer wird Millionär" und Dschungelcamp
In einigen Fragen war Einigkeit zwischen den Parteien erkennbar: etwa zwischen Scholz und Habeck bei höheren Steuern für hohe Einkommen. Beide warfen Union und AfD eine sozial ungerechte Steuerpolitik vor: Sie wollten mit milliardenschweren Plänen zu Steuersenkungen vor allem Menschen mit hohen Einkommen entlasten. Bei der Unterstützung der Ukraine haben die Grünen mit der Union mehr Überschneidungen als mit der SPD, wie Habeck auch anmerkte. Merz und Scholz wiederum waren sich bei der Wohnungspolitik einig: "In Deutschland muss mehr gebaut werden", so Merz. "Ich finde, wir müssen heute auch mal sagen: Wir sind einer Meinung", so Scholz zu Merz.
Gibt es ein Thema, bei dem alle vier Parteien im Gleichschritt gehen? Laut "Wer wird Millionär?"-Moderator Günther Jauch "das Thema Rente", da würden sich alle "drum drücken". Dazu gab es von Jauch auch eine Quizfrage: "Wieviel Prozent der Beamten arbeiten bis zur gesetzlichen Altersgrenze: 20, 40, 60 oder 80 Prozent?" Nur Scholz antwortete richtig: "20 Prozent." Einen konkreten Plan für eine Pensionsreform gab es aber von keinem Kanzlerkandidaten.
Es wäre nicht RTL, würde das Dschungelcamp nicht auch in einer Polit-Debatte vorkommen: "Opposition oder Dschungelcamp?", hieß es in der Schnellfragerunde. Das sorgte für Irritationen bei den Kanzlerkandidaten. "Ich wunder mich über die Frage", so Merz stutzig, Und stellte dann klar: "Lieber Jahrzehnte in der Opposition als zehn Tage im Dschungelcamp."

AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel.
Merz schließt Koalition mit Grünen nicht aus
Am liebsten aber wäre Merz natürlich Kanzler. Nur mit wem? "Ich möchte strategisch erreichen, dass wir mindestens zwei Optionen haben. Das wären die Sozialdemokraten oder die Grünen. Das entscheiden die Wähler." Eine überraschende Ansage nach den scharfen, wochenlangen Angriffen gegen die Grünen, vor allem durch die Schwesterpartei CSU und ihren Parteichef Markus Söder. "Söder schreibt mir gar nichts vor", rechtfertigte Merz seine Aussage: "Wir sind uns einig in der Bewertung der Sachfragen." Die Wirtschaftspolitik der Grünen würde nicht fortgesetzt. In seinem Schlussstatement verwies Merz darauf, dass man sich am Tag der Wahl schließlich mit den Parteien wieder einigen können müsse.
Weidel daraufhin: Merz wolle also die Wahlversprechen, "die er bei uns abgeschrieben hat", nicht umsetzen. Denn das ginge mit Grünen oder SPD nicht.
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