TV-Zuseher gegen AfD-Chefin Weidel: "Vielleicht lesen Sie mal Ihr Wahlprogramm"

AfD party co-leader Alice Weidel answers questions in the ZDF programme ‘Klartext’
Scholz, Habeck, Weidel und Merz stellten sich in einer TV-Debatte den Fragen des ZDF-Publikums. Überraschend war allein die Beherrschung mancher Kandidaten.

Ein überoptimistischer Scholz, ein ausschweifender Habeck, eine betont gemäßigte Weidel und ein geduldiger Merz.

In einer zweieinhalbstündigen Live-Sendung stellten sich die Spitzenkandidaten von SPD, Grüne, AfD und Union den Fragen des Publikums – allerdings hintereinander, und nicht gleichzeitig. Die Folge: mehr oder weniger eine Abspulung der schon bekannten Wahlprogramme der Parteien.

30 Minuten hatte jeder Spitzenkandidat Zeit, den Anfang machte SPD-Kanzler Olaf Scholz.

"Tragen Sie Mitschuld an den Morden?"

"Wir haben Angst, ich mache mir Sorgen um meine Familie", beginnt eine Frau aus Solingen, wo im Sommer ein Asylwerber aus Syrien drei Menschen getötet hat: "Tragen Sie nicht die moralische Mitschuld an jedem einzelnen Mord, der stattgefunden hat?"

Chancellor Olaf Scholz answers questions in the ZDF programme ‘Klartext’ in Berlin

Scholz: "Jede einzelne Tat ist unerträglich." Der Kanzler verweist auf Verschärfungen und Vorhaben. Dem "Ampel-Chaos" widerspricht er,  bescheinigt sich sogar "Führungskraft" beim Koalitions-Aus, genauso wie den Erfolg, Deutschland aus der "größten Krise der Nachkriegsgeschichte" geführt zu haben. 

Auch auf die Sorge eines VW-Mitarbeiters und Gewerkschafter, eigentlich klassische SPD-Klientel, ob der Umstieg auf E-Mobilität Arbeitsplätze sichern könne, gibt sich Scholz optimistisch. Es brauche Investitionen, Dialog, und keinen Weg zurück. Die Botschaft, die bei jeder Antwort mitschwingt: "Keine Sorge, es wird schon alles." Das Publikum reagiert verhalten.

Zu den aktuellen Gesprächen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin meint Scholz, einen Deal über die Köpfe der Ukrainer hinweg dürfe es nicht geben. Im Gespräch mit Trump habe er "sehr darauf gedrungen, dass die Unterstützung für die Ukraine nicht nachlässt", so Scholz, danach sehe es auch nicht so aus. Dass die USA ihre finanzielle Hilfe für die Ukraine teilweise bereits eingestellt hat, erwähnt Scholz nicht.

Rassismus-Vorwurf

Auch unerwähnt: der Rassismus-Vorwurf gegen Scholz. Er hat auf einer privaten Feier den schwarzen Berliner Kultursenator Joe Chialo als "Hofnarr" bezeichnet. Mitglieder der Union verlangten einen Rücktritt, die SPD ortete eine Schmutzkampagne. Scholz entschuldigte sich, Chialo selbst nannte die Aussage "herabwürdigend", ein Rassist sei Scholz aber nicht. Die Sache schien damit fürs Publikum gegessen.

GERMANY-POLITICS-MEDIA

Es folgte ein oft ausschweifender Vizekanzler Robert Habeck. Ein Kleinunternehmer fragt den grünen Wirtschaftsminister: Was wolle Habeck für ihn tun? Habeck gibt den Erklärer, der braucht, bis er auf den Punkt kommt: "Wenig Bürokratie, mehr Arbeitskräfte, gute steuerliche Investitionsbedingungen" – all das habe man stark vernachlässigt. Als Habeck Fehler bei der Umsetzung in der Energiewende zugibt, erntet er Lob und den meisten Applaus des Abends.

Kritik an Ukraine-Unterstützung

Ein Zuseher gibt sich als Grün-Wähler zu erkennen, zeigt sich enttäuscht über die "einstige Friedenspartei": "Ich vermisse klare friedenspolitische Positionen", sagt er mit Blick auf die militärische Unterstützung der Ukraine. Könnte er sich eine Sache wünschen, so Habeck, "wäre es Frieden. Aber Frieden heißt nicht, sich Putin zu unterwerfen. Frieden geht nur, wenn es ein regelbasiertes System gibt."

Der jüngste Anschlag in München bot AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel eine Steilvorlage: "Mit einer AfD-geführten Regierung wäre der Mann gar nicht erst ins Land gekommen und lange nicht mehr hier."

Schlagabtausch mit Weidel

Ein  Unternehmer erzählt, dass sich seine internationalen Mitarbeiter zunehmend unwohl fühlten. Die sich sonst leicht in Rage redende Rechtspopulistin reagiert betont   interessiert, stellt Nachfragen zum Unternehmen, bis sie auf Nachfrage der Moderatoren gar von einer "Willkommenskultur für qualifizierte Einwanderer, die Steuern zahlen" spricht.

German conservative candidate for chancellor and CDU party leader Friedrich Merz and AfD party co-leader Alice Weidel attend the ZDF programme ‘Klartext’

Es kommt zu einem Schlagabtausch mit einem Zuseher: "Diese Willkommenskultur sehe ich bei Ihrer Partei nicht." Dafür gibt es Applaus. Weidel unterstellt ihm kühl, nicht zuzuhören. "Vielleicht lesen Sie mal Ihr Wahlprogramm", kontert der Zuseher.

Weidel plädiert für eine Rückkehr zum Atomstrom; dass selbst Kernkraftwerkbetreiber das unmöglich nennen, darüber lacht Weidel. Überhaupt lacht Weidel häufig, auch über das Publikum, dem sie in einer Wortmeldung die Neutralität abspricht.

Merz warnt vor Österreich-Verhältnissen

Schlussendlich der Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der das Treffen auf Weidel nutzte, um einmal mehr die Unterschiede zur AfD betont, etwa in der Haltung zu Ukraine,  NATO und EU. Und zieht einen gewagten Vergleich, indem er Italiens rechte Regierungschefin Giorgia Meloni weniger problematisch als Weidel benennt. Auch Österreich greift er auf – als Negativbeispiel für das Erstarken der Rechtspopulisten und die schwierige Koalitionsfindung.

German chancellor candidates of the SPD, CDU, Greens and AfD answer citizens' questions

Merz gibt sich geduldig, auch als er mit einem Wärmepumpe-Hersteller darüber streitet, ob es ein explizites Heizungsverbot von der Ampel gab oder nicht. Das Reizthema deutsche Bahn: Ein Pendler fragt, ob er sich vor einem CSU-Verkehrsminister fürchten müsse, der vorrangig die Autofahrer unterstütze. Merz ignoriert die Spitze gegen die CSU, betont stattdessen die notwendige Sanierung der Infrastruktur und gibt zu: Baustellen in Deutschland "dauern zu lange, und wir bauen zu teuer."

Über die Schuldenbremse könne man reden; seine Forderung, "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, verteidigt er gegenüber einer besorgten Zuseherin verständnisvoll, aber bestimmt; und hofft, dass Scholz eine Antwort habe auf Trumps Telefonat mit Putin hat. Er selbst habe ein Konzept, so Merz.

Weitaus spannender, aber auch lauter und schärfer dürfte die Debatte am Sonntagabend werden. Dann diskutieren die vier Spitzenkandidaten miteinander.

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