CDU stimmt mit AfD: Der Tabubruch des Friedrich Merz

Als Olaf Scholz zu sprechen beginnt und daran erinnert, warum es ein Asylrecht gibt, dass das die Antwort auf die deutsche NS-Herrschaft war, blättert Friedrich Merz lässig in seinen Unterlagen. Der CDU-Chef schaut aufs Handy, ist gelangweilt, was der Kanzler ihm und der AfD zu sagen hat, interessiert ihn nicht. Schließlich ist Merz der Mann der Stunde, zumindest war er das die letzten Tage.
Seit Merz sagte, dass er seine rigide Ausländerpolitik mit jeder Partei durchboxen werde, auch mit der AfD, hat sich in Deutschland etwas verschoben. Merz hat es möglich gemacht, dass im Bundestag erstmals ein CDU-Antrag von der AfD unterstützt wird; dass die seit Jahren beschworene Brandmauer erstmals einreißt. Vergessen scheint der seit 2018 geltende Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der jegliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD eigentlich ausschließt. Doch dieser wurde in den vergangenen Tagen und am Mittwoch im Bundestag mit keinem Wort thematisiert.
Antrag geht knapp durch
Merz selbst verteidigte sein Vorgehen zwar wortreich, sagte, dass man es "den Opfern der Attentate von Aschaffenburg schuldig" sei, etwas zu tun, und dass es ihm ja "Unbehagen" verschaffe, wenn die AfD mitstimme. Einbringen ließ er den Antrag auf Abweisung aller Migranten an den Grenzen und der Abschiebung aller Ausreisepflichtigen dennoch – und bekam dafür auch die Zustimmung der AfD: Für den ersten Antrag stimmten 348 Abgeordnete mit "Ja", 345 Abgeordnete stimmten dagegen. Damit ging der Antrag mithilfe der Stimmen der AfD knapp durch. Der zweite Antrag wurde nicht angenommen.
Aus den Reihen der AfD gab es Jubel nach der Verkündung der Abstimmungsergebnisse. Die Union blieb schweigsam und ernst.
Am Freitag könnte die Fortsetzung folgen; dann will die Union über das "Zustrombegrenzungsgesetz" abstimmen lassen, das den Familiennachzug Großteils einstellen soll. Die AfD will auch diesem zustimmen.
Keine Ausgrenzung mehr
War das nun der große Tabubruch? Das kommt auf die Perspektive an. Denn die Brandmauer in Deutschland ist schon lange nicht mehr so intakt, wie sie es vor Jahren noch war. In Gemeinderäten und Kreistagen gibt es immer wieder gemeinsame Abstimmungen von CDU und AfD, nicht nur bei klassisch kommunalpolitischen Themen wie Straßenbau oder Kindergärten, sondern auch um Ausländerpolitik. Teils wurden auch AfD-Kandidaten mit Stimmen anderer Parteien in Ämter gewählt.

Seit dem Aufstieg der AfD in Ostdeutschland, wo die Rechtsaußenpartei bei den Wahlen im September des Vorjahres 30 Prozent und darüber hinaus holte, ist die Brandmauer auch auf Landesebene nicht mehr ganz intakt. 2023 hat die CDU in Thüringen mit Stimmen von AfD, FDP und einigen Fraktionslosen eine Senkung der Grunderwerbsteuer durchgesetzt. Im Wahlkampf hat der CDU-Landesverband kritisiert, dass eine Ausgrenzung der AfD dieser nur nutze und sie in die Märtyrerrolle dränge. Gefordert wurde ein normaler parlamentarischer Umgang; Thüringens CDU-Fraktion tauscht sich mit der AfD um Oppositionschef Björn Höcke aus, obwohl der der wohl radikalste Rechtsausleger der Partei ist.
Sachsen hat das in die skurrile Situation gebracht, dass die AfD in jener Kontrollkommission sitzt, die den landeseigenen Verfassungsschutz kontrolliert. Und der hat die AfD 2023 als gesichert rechtsextrem eingestuft.

Wem nützt das?
Für die Parteien links der Mitte ist Merz’ Attacke auf die Brandmauer eine Steilvorlage. "Ihnen bleiben als Partner ja nur die extrem Rechten", sagt Scholz am Schluss seiner Rede zu Merz. Damit meint er nicht nur die Vorgänge an diesem Mittwoch, sondern das, was nach der Wahl auf die Deutschen wartet: "Es darf keine Mehrheit für Union und AfD geben, sonst droht uns eine schwarz-blaue Regierung in Deutschland", sagt Scholz – in Österreich habe die ÖVP schließlich auch ihr Versprechen gebrochen, nicht mit der FPÖ zu koalieren.
Mit der SPD werde es Merz beim Verhandeln jetzt noch schwerer haben, so die zweite Botschaft des Kanzlers. Fraglich ist nur, ob Scholz das selbst entscheiden kann. Seit Merz seine Grenzschließungsforderung aufgestellt hat, ist die SPD in den Umfragen wieder auf 15 Prozent gerasselt. Zugelegt hat auch die Union nicht, sondern nur eine Partei: die AfD.
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