Warum Deutschland 220.000 "Ausreisepflichtige'" nicht abschieben kann

Warum Deutschland 220.000 "Ausreisepflichtige'" nicht abschieben kann
Attacken von Asylwerbern dominieren den Wahlkampf. Die Politik fordert darum immer Abschiebungen im großen Stil – doch das funktioniert schon seit Jahren nicht.

Am Donnerstag herrschte in der deutschen Politik Entsetzen, wieder einmal. Ein Afghane war mit einem Auto in eine Menschenmenge gefahren, 28 Menschen wurden verletzt; zwei schweben noch in Lebensgefahr, darunter ein zweijähriges Kind. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte danach markig: „Es reicht!“, und SPD-Kanzler Olaf Scholz forderte: „Wer Straftaten dieser Art begeht, muss damit rechnen, dass wir ihn abschieben.“

Allein: Asylwerber oder straffällig gewordene Asylberechtigte aus dem Land zu schaffen, klingt einfach, ist es aber nicht. Es ist teuer, aufwendig und rechtlich kompliziert – jede zweite Abschiebung in Deutschland scheitert darum, hat die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik erhoben. Die Folge: Mehr als 220.000 Personen leben im Land, obwohl sie „ausreisepflichtig“ wären, wie es im Beamtendeutsch heißt.

Keine Ansprechpartner

Die Gründe dafür sind deutlich komplexer als die politische Debatte darüber. Bei vielen abgelehnten Asylwerbern gibt es triftige Gründe, warum man sie nicht einfach in ein Flugzeug setzen kann: „In Afghanistan etwa fehlen die richtigen Ansprechpartner“, sagt Kilian Umbach, Jurist mit Schwerpunkt Migrationsrecht an der Uni Konstanz. Mit den Taliban wolle die Bundesregierung nicht kooperieren, und „manche Staaten haben auch einfach kein Interesse, Personen zurückzunehmen“. Dazu zählt etwa Russland.

Daneben gibt es viele Fälle, in denen Asylwerber keinen Pass haben, von ihrer zuständigen Botschaft keine Papiere erhalten oder schlicht wegen einer Krankheit nicht in einen Linienflug gesetzt werden können. Diese Menschen werden in Deutschland „geduldet“ – sie dürfen zwar im Land bleiben, können aber jederzeit von den Behörden festgesetzt werden. Dieser Zwischenzustand ist für viele Experten problematisch: Geduldete dürfen nur mit spezieller Erlaubnis arbeiten und sich nur in ihrem Landkreis bewegen, ihre Sozialleistungen sind deutlich niedriger als das Bürgergeld. Nicht wenige Geduldete tauchen in dieser Zeit unter. 

Behörden-Wirrwarr

Dazu kommen spezifisch deutsche Abschiebe-Hürden. Zuständig dafür sind nämlich eigentlich die Länder, doch die schieben die Verantwortung in schwierigen Fällen auch gern mal hin und her. Oder gleich in Richtung Bund: Nach der Messerattacke von Aschaffenburg – ein ausreisepflichter, polizeibekannter Afghane erstach dort ein zweijähriges Kind und einen Erwachsenen – hieß es aus Bayern, der Bund habe das Land viel zu spät über die Ablehnung des Asylbescheides des Mannes informiert. Kanzler Scholz nannte diesen Vorwurf danach einfach „peinlich“.

Dazu kommt, dass der Abschiebeprozess an sich aufwendig und teuer ist – und manchmal mitten in der Durchführung scheitert. Mehrere Polizisten müssen die Person ausfindig machen und festsetzen, danach muss ein Richter entscheiden, ob Abschiebehaft nötig ist und die Abschiebung rechtlich zulässig ist; „das nimmt sehr viel Kapazitäten in Anspruch“, sagt Experte Umbach. Kommt die Person in Haft, etwa weil Fluchtgefahr besteht, muss sie oft stundenlang durch das ganze Land gekarrt werden – denn einige Bundesländer, Brandenburg etwa, haben keine Abschiebehaftanstalten. Der Flug selbst – oft sind das teure, eigens gecharterte Maschinen – wird dann auch von Beamten begleitet.

Das Grundproblem im Asylsystem ist für Umbach aber die lange Verfahrensdauer. „Bis ein Bescheid rechtskräftig ist, kann es deshalb schon mal vier Jahre dauern“, sagt er. „Das liegt vor allem an der hohen Anzahl an Verfahren in den letzten Jahren, aber auch am Personalmangel – es ist schwierig, gut ausgebildetes Personal zu finden, und auch der Wille, viel Geld zu investieren, ist nicht groß.“

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