Türkische Regierung attackiert Steinmeier

Bei seinem Besuch in der Türkei wurde der deutsche Außenminister von seinem türkischen Kollegen mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen konfrontiert.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat sich einen heftigen Schlagabtausch mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier geliefert und ihn bei dessen erstem Besuch in Ankara seit über einem Jahr mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen konfrontiert. Deutschland beherberge Tausende Mitglieder der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK und sperre sich gegen die Auslieferung von Anhängern der Gülen-Bewegung an die Türkei, kritisierte Cavusoglu am Dienstag. Der üblicherweise sehr beherrschte deutsche Chefdiplomat wirkte zunehmend verärgert, als die Attacken bei einer gemeinsamen Pressekonferenz auf ihn einprasselten. Steinmeier verbat sich die Vorwürfe und mahnte die Türkei angesichts der Massenverhaftungen nach dem Putschversuch im Juli seinerseits zur Mäßigung.

Türkei habe Nase voll

Die Türkei habe die Nase voll von der herablassenden Behandlung durch die EU in den Beitrittsverhandlungen, sagte Cavusoglu. Sein Land verlange, als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden und nicht als Partner zweiter Klasse. Dass das türkische Volk nach dem Putschversuch die Todesstrafe für Anhänger der Gülen-Bewegung fordere, die daran beteiligt waren, sei nur selbstverständlich. Steinmeier hat wie viele andere EU-Politiker klargestellt, dass die von dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angestrebte Wiedereinführung der Todesstrafe das Ende der Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.

Cavusoglu: "Keine Pressefreiheit, daran wird es liegen"

Cavusoglu kritisierte auch den Umgang mit PKK-Anhängern. So gebe es in Deutschland 4500 Strafverfahren gegen PKK-Mitglieder, aber nur drei der Täter seien bisher an die Türkei ausgeliefert worden. Als das Mikrofon eines deutschen Journalisten, der eine Frage stellen wollte, nicht funktionierte, scherzte Cavusoglu lächelnd auf Englisch: "Keine Pressefreiheit, daran wird es liegen." Es sollte die einzige Frage der deutschen Journalisten im Saal bleiben, nachdem das Mikrofon schließlich funktionierte: Die Pressekonferenz wurde beendet, ehe die deutschen Reporter die eigentlich zugesagte zweite Frage stellen konnten.

Steinmeier hatte sich zuvor über die Massenverhaftungen in der Türkei nach dem Putschversuch ebenso besorgt geäußert wie über den Umgang mit Presse- und Medienfreiheit in dem Land. Die Türkei solle dies nicht als Anmaßung verstehen, sondern als echte Sorge, sagte Steinmeier. Deutschland bemühe sich sehr darum, die Beziehungen zu dem Land wieder zu verbessern.

Steinmeier: Vorwürfe nicht nachvollziehbar

Der normalerweise zurückhaltende Minister reagierte für seine Verhältnisse hart auf den mehrfach vorgebrachten Beschuldigung der Beihilfe zum Terrorismus. "Der öffentliche Vorwurf, der hier in der Türkei erhoben worden ist, Deutschland sei ein sicherer Hafen für Terroristen, den können wir schlicht und einfach nicht nachvollziehen", sagte er. In der Türkei sei bekannt, dass die PKK in Deutschland als terroristische Organisation behandelt und gemäß dem deutschen Strafrecht verfolgt werde. Steinmeier spielte in seinen Äußerungen auf die offenbar gereizte Atmosphäre in den Gesprächen an: "In diesem Sinne darf ich herzlich danken für ein, ja, heute nicht ganz einfaches Gespräch, wenn ich das so sagen darf, das aber aus meiner Sicht ein offenes und ehrliches Gespräch war und gerade deshalb besonderen Dank."

"Die Demokratie in der Türkei steht auf der Kippe"

Am Nachmittag standen Treffen Steinmeiers mit Politikern der Oppositionsparteien CHP und HDP auf dem Programm. Steinmeier besuchte auch das türkische Parlament, einen der Schauplätze des gescheiterten Militärputsches von Mitte Juli. Dort sind bis heute Spuren der damaligen Kämpfe zu sehen. "Die Demokratie in der Türkei steht auf der Kippe", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) am Rande politischer Gespräche in Brüssel. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen forderte in Berlin die deutsche Bundesregierung auf, ihre "willfährige Unterstützung für das demokratiefeindliche Regime in der Türkei zu beenden".

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) forderte von Steinmeier, "bedrohten Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen konkrete Hilfe anzubieten". Die ai-Türkei-Expertin Marie Lucas sagte AFP, es sei wichtig, dass die Kritik "konsequent vorgetragen und nicht mehr aus Angst um das Flüchtlingsabkommen unter den Teppich gekehrt wird". Seit dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli haben die türkischen Behörden zehntausende angebliche Regierungsgegner festgenommen oder aus dem Staatsdienst entlassen.

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