Türkische Charme-Offensive nach "verfluchten" Zeiten
Im KURIER-Gespräch plädiert Botschafter Ozan Ceyhun für einen Neustart der belasteten Beziehungen – samt Präsidentenbesuch in Ankara. In Wien reagiert man zurückhaltend.
Noch im vergangenen Mai hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan Österreich „verflucht“ – da wehte gerade die israelische Fahne auf dem Kanzler- und Außenamt, aus Solidarität mit Israel, das sich im Krieg mit der terroristischen Hamas befand. Jetzt im Hochsommer ist alles anders, geht Ankara zur Sonnenschein-Politik über. Im KURIER-Gespräch startet der türkische Botschafter Ozan Ceyhun eine richtige Charme-Offensive.
„Schauen Sie, im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich laufen unsere Beziehungen sehr gut. Österreich ist der viertgrößte Investor in der Türkei. Im Logistik-Bereich etwa hat die Post AG in meiner Heimat einen Marktanteil von 30 Prozent. Auch die OMV und Andritz bei Wasserkraftwerken sind stark vertreten“, sagt der 60-Jährige rund um den fünften Jahrestag des Putschversuches in der Türkei. Obwohl es im Feld der Politik „nicht einfach“ sei, „benötigen wir auch hier ein Upgrade des bilateralen Verhältnisses“, betont Ceyhun, der im österreichischen St. Georgs-Kolleg in Istanbul maturiert hat und perfekt Deutsch spricht.
Trotz unterschiedlicher Ansichten etwa bei der Nahost-Politik, dem EU-Beitritt der Türkei oder dem politischen Islam setzt der Diplomat auf einen Neustart – und zwar ganz oben beginnend: „Bundespräsident Alexander Van der Bellen hätte plangemäß schon heuer die Türkei besuchen sollen, Pandemie-bedingt ging das aber nicht, jetzt peilen wir 2022 an.“ Der KURIER fragte nach in der Hofburg: Von einer Reise 2021 wusste man dort nichts, und für 2022 „gibt es noch keine Entscheidung betreffend Auslandsreisen“, hieß es.
Dennoch zeigt sich der türkische Botschafter, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat und für die Grünen und die SPD jahrelang im Europaparlament saß, optimistisch, was eine bilaterale Annäherung betrifft: „Eine türkische Abgeordnetengruppe war heuer schon zum Gedankenaustausch im Parlament in Wien. Da waren auch Vertreter aller österreichischer Parteien dabei. Und im Rahmen der Interparlamentarischen Union, die Anfang September in Wien stattfindet, wird vermutlich auch der türkische Parlamentspräsident anreisen.“
Speziell aber verweist Ceyhun auf eine Begegnung zwischen Außenminister Alexander Schallenberg und dessen türkischem Pendant Mevlüt Çavuşoğlu im Rahmen einer Anti-IS-Konferenz in Rom im Vormonat. Es war die erste direkte Begegnung der beiden Chefdiplomaten seit 2019.
„Das stimmt, wir hatten eine offene und direkte Aussprache, was bilaterale Fragen anbelangt“, bestätigt Schallenberg. Die Beziehungen seien stets „ein Wechsel von Licht und Schatten“, wenngleich es auch positive Punkte gebe. In diesem Kontext betonen der Chefdiplomat sowie der Botschafter den Wirtschaftsaspekt sowie Kooperationen in Fragen der Sicherheit und der Wissenschaft. Was Letzteres anbelangt, fordert der Außenminister von Ankara die Erneuerung der Ausgrabungslizenz für Ephesos.
„Klare Haltung“
Hinsichtlich einer Annäherung der beiden Staaten verweist Schallenberg auf „unsere klare Haltung bei Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit oder dem türkischen EU-Beitritt“. Ein politischer Islam habe zudem in Österreich nichts verloren, aber einen „Islam europäischer Prägung, der etwa die Gleichstellung von Mann und Frau akzeptiert, den wollen wir beibehalten“, sagt Schallenberg, das trage auch zur Integration bei. Ein Treffen mit Amtskollegen Çavuşoğlu schließt er nicht aus – „wenn die Agenda passt, an mir soll es nicht liegen“.
300.000 Austro-Türken
Tatsächlich hatte Erdoğan – mitten im Wirtschaftsdesaster der Corona-Krise zum Jahreswechsel – seine Politik vis-a-vis Brüssel geändert: Weg vom Bashing hin zu einem Kurs der Kooperation (mit fallweisen Navigationsfehlern).
Gerade im Fall Österreich sei dies besonders wichtig, meint Ozan Ceyhun, weil „hier 300.000 Menschen mit türkischer Herkunft leben, wovon 180.000 die österreichische Staatsbürgerschaft haben“. Für diese Gruppe sei es besonders wichtig, dass „unsere beiden Staaten keine politischen Differenzen haben – denn das ist für das Zusammenleben nicht förderlich“.
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