Türkei: Weltweit die meisten inhaftierten Journalisten

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan
Dutzende Journalisten sitzen in der Türkei wegen ihrer Arbeit in Haft, 178 Medienunternehmen mussten 2016 schließen.

Zwei Wochen lang wurde Deniz Yücel, der türkische Korrespondent der deutschen Tageszeitung Die Welt, von den türkischen Behörden ohne richterlichen Beschluss in Gewahrsam genommen. Am Montag verhängte ein Richter schließlich die Untersuchungshaft über den Journalisten. Die Vorwürfe: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch, Terrorpropaganda und Aufwiegelung der Bevölkerung. Die Verhaftung hat in Deutschland und Europa heftige Proteste und schwere diplomatische Verstimmungen ausgelöst. Yücel ist der jüngste Fall in der Hexenjagd gegen Journalisten in der Türkei, die seit dem Putschversuch im vergangenen Juli im Gang ist.

Dutzende Journalisten sitzen derzeit in türkischen Gefängnissen, noch viel mehr wurden zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Putschversuch zumindest zeitweilig in Gewahrsam genommen. Meistens wird ihnen eine Nähe zur religiösen Gülen-Bewegung oder der kurdischen PKK vorgeworfen, die beide in der Türkei als Terrororganisationen gelten. Verlässliche Zahlen zu den Inhaftierten sind jedoch schwer zu finden. Die Lage ist unübersichtlich, die türkischen Behörden halten sich mit Informationen zurück. So ist die Öffentlichkeit auf die Zahlen von NGOs angewiesen, die verfügbare Quellen, etwa Medienberichte und Angaben der Anwälte der Betroffenen, auswerten und publizieren.

Intransparente Justiz

Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich derzeit 49 Journalisten in der Türkei aufgrund ihrer Arbeit in Haft. Die Organisation weist jedoch auch darauf hin, dass „in Dutzenden weiteren Fällen ein direkter Zusammenhang der Haft mit der journalistischen Tätigkeit wahrscheinlich ist, sich aber derzeit nicht nachweisen lässt, denn die türkische Justiz lässt die Betroffenen und ihre Anwälte oft für längere Zeit über die genauen Anschuldigungen im Unklaren.“ Einschließlich nicht bestätigter Fälle geht Reporter ohne Grenzen von über 100 Fällen aus.

Die internationale NGO Committee to Protect Journalists (CPJ) mit Sitz in New York führt ebenfalls Aufzeichnungen zu verhafteten Journalisten. Ihrer Zählung nach befanden sich per 1. Dezember 2016 mindestens 81 Journalisten in Haft. Seitdem dürften noch einige Fälle hinzugekommen sein. Im Zeitverlauf zeigt sich, dass die erste große Verhaftungswelle um den 25. Juli begann, also zehn Tage nach dem gescheiterten Putschversuch. 81 Inhaftierte sei die höchste Zahl, die laut CPJ-Aufzeichnungen jemals in einem Land gemessen wurden, heißt es vonseiten der NGO, die 1981 gegründet wurde.

Behördliche Schließungen

Nicht nur Journalisten sind von der Repression betroffen, auch ihre Medien. Die türkische Regierung verfügte mittels dreier Dekrete die Schließung von Nachrichtenagenturen, TV- und Radiosendern und Verlagen. Zusätzlich wurden der Regulierungsbehörde RTÜRK zusätzliche Kompetenzen zur Entziehung von Sendelizenzen erteilt, was zur Schließung von etwa zwei Dutzend Anstalten führte.

Die türkische Nachrichtenagentur Bianet zählte im Jänner 178 Medien und Verlage, die ab dem Putschversuch im Jahr geschlossen wurden. Etwa ein Dutzend davon durften den Betrieb mittlerweile wieder aufnehmen.

Der größte Teil der Schließungen betrifft mit rund 35 Prozent den Zeitungssektor, gefolgt von Radiosendern (19 Prozent) und TV-Anstalten (16 Prozent). Bei den Zeitungen handelt es sich zu einem großen Teil um kleinere Publikationen, oftmals mit kurdischem Hintergrund. Doch auch die größte Tageszeitung der Türkei, die Gülen-nahe Zaman mit einer Auflage von 650.000 Stück, wurde bereits Anfang März 2016 von der Regierung übernommen und nach dem Putschversuch schließlich ebenfalls geschlossen.

Mit ihren Dekreten verfügte die Regierung übrigens nicht nur die Schließung von Medien, sondern auch deren vollständige Enteignung. Alle beweglichen Mittel gehen demnach an das türkische Finanzministerium, auch Liegenschaften werden an den Staat übertragen.

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