Erdogan beklagt mangelnde Solidarität des Westens

Als einmalige Geste will er auch alle Beleidigungsklagen zurückziehen, sagte der türkische Staatspräsident.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will alle Klagen wegen Beleidigung seiner Person zurückziehen. Hintergrund sei das Gefühl, dass die Gesellschaft nach dem gescheiterten Putsch zusammenstehe. Demnach handelt es sich um eine einmalige Geste. In dem Nato-Staat drohen bei einer Beleidigung des Präsidenten bis zu vier Jahre Haft.

Die Strafanzeigen in Deutschland sind nach Angaben des Medienanwalts Ralf Höcker aber noch nicht ad acta gelegt. "Die Ankündigung bezieht sich nur auf die Türkei. In Deutschland ändert sich vorerst nichts", sagte Höcker am Samstag. Der Anwalt hat Präsident Erdogan bereits bei rechtlichen Auseinandersetzungen wegen Beleidigung vertreten. Erdogan hat unter anderem Anzeige gegen den TV-Satiriker Jan Böhmermann erstattet. Nach der Veröffentlichung eines Schmähgedichtes über Erdogan durch Böhmermann ermittelt die Staatsanwaltschaft Mainz gegen den Satiriker wegen des Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes. Böhmermanns Anwalt war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Mangelnde Solidarität des Westens

Erdogan beklagte weiters eine mangelnde Solidarität westlicher Staaten nach dem Putschversuch. Länder, die sich mehr um das Schicksal der Putschisten als um die türkische Demokratie sorgten, könnten keine Freunde sein, sagte der islamisch-konservative Politiker am Freitagabend vor Hunderten Anhängern im Präsidentenpalast in Ankara.

Das Verhalten vieler Länder und ihrer Politiker sei beschämend. Die westlichen Verbündeten der Türkei haben den Putschversuch verurteilt, sind aber überrascht, wie stark die Regierung gegen mutmaßliche Beteiligte vorgeht. Zehntausende Soldaten, Polizisten, Beamte oder Lehrer sind suspendiert, entlassen oder verhaftet worden. Ihnen werden Verbindungen zu Erdogans Rivalen Fethullah Gülen vorgeworfen. Der Staatschef wirft dem in den USA lebenden Prediger vor, hinter dem Putsch zu stecken. Gülen hat dies zurückgewiesen. Kritiker werfen Erdogan vor, den gescheiterten Staatsstreich zu nutzen, um gegen Regierungskritiker vorzugehen.

Dündar: Westliche Staaten haben die Augen verschlossen

Der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar hat den immens gewachsenen Druck auf die Medien in seinem Heimatland angeprangert. "Man kann kaum noch atmen", sagte der Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet in einem am Freitag veröffentlichten Interview der WDR-Sendung "Aktuelle Stunde". "Es gelten weder Recht, noch Demokratie oder Menschenrechte." Die laufende Verhaftungswelle in Medien, Justiz und Militär nach dem gescheiterten Putsch vor zwei Wochen habe unter Journalisten eine "allgemeine Atmosphäre des Schweigens und der Selbstzensur" befördert.

Dündar war im Mai zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Er war schuldig befunden worden, geheime Dokumente veröffentlicht zu haben, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen. Derzeit ist er bis zum Berufungsprozess auf freiem Fuß.

Dündar kritisierte, dass Europas Politiker im Allgemeinen und die deutschen Politiker im besonderen Erdogan bisher zu sehr unterstützt haben. "Wir wissen, dass der Grund dafür das Flüchtlingsabkommen ist. Deswegen hat man vor Erdogans Verstößen gegen das Recht die Augen verschlossen." Er würde empfehlen, nun demokratische Kräfte zu unterstützen. Die Menschen in der Türkei, die den Militärputsch vereitelt haben, rief er auf, das Land nun auch vor einem Polizeistaat zu bewahren.

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