Journalisten in der Türkei: "Alle haben jetzt Angst"
Fatih Yağmus Stimme zittert. "Ich fühle mich in der Türkei nicht mehr sicher. Ich habe wirklich Angst um mein Leben", sagt der Journalist via Whatsapp. "Seit dem Putschversuch ist die Lage für Journalisten nicht besser geworden, im Gegenteil. Alle haben jetzt Angst."
Seit dem missglückten Putschversuch am 15. Juli sind mehr als 15.000 Menschen festgenommen worden, über 60.000 – vor allem Militärs, Polizeibeamte, Richter, Staatsanwälte, Lehrer und Verwaltungsbeamte – wurden entlassen. Die Regierung in Ankara behauptet, sie alle seien Anhänger des Predigers Fethullah Gülen. Präsident Recep Tayyip Erdogan und die AKP-Regierung beschuldigen Gülen, der zurzeit im freiwilligen Exil in den USA lebt, als Drahtzieher hinter dem Putschversuch vom 15. Juli zu stehen. Erdogan hat gelobt, das Netzwerk des Predigers, der Anhänger vor allem im Sicherheit- und Justizapparat des Landes unterzubringen wusste, vollständig "ausrotten" zu wollen.
Journalismus als "Verrat"
Doch auch die Medien bleiben von dieser "Massensäuberung" nicht verschont. Eine Reihe kritischer Nachrichtenwebseiten wurde im Anschluss an den Putschversuch sofort geschlossen. 34 Journalisten wurde die staatliche Akkreditierung entzogen. Nach einem staatlichen Beschluss, veröffentlicht am Mittwochabend, werden nun auch Dutzende Fernseh- und Radiosender, Zeitungen, Magazine und Nachrichtenagenturen geschlossen, die laut Ankara unter dem Verdacht stehen, die Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. Seit Montag hat die Regierung Haftbefehle gegen 89 Journalisten entlassen.
Yağmur ist einer von ihnen. Über viele Jahre arbeitete er für die mittlerweile – offiziell aus finanziellen Gründen – geschlossene liberale Tageszeitung Radikal, die im Januar 2014 seine Reportage zu Waffentransporten in Lastwagen des türkischen Geheimdienstes über die Türkei nach Syrien publizierte. 2015 wurde er dafür mit dem EU Journalistenpreis für Investigativen Journalismus ausgezeichnet, doch in der Türkei sah man seine Arbeit als Verrat. Sein Chef entließ ihn mit der Begründung, "dem enormen politischen Druck von der Regierung nicht länger standhalten zu können." Seit 2014 ist Yağmur arbeitslos, so wie Hunderte andere Journalisten, die sich den Unmut der Regierung zuzogen. "Vielleicht sollte ich mich glücklich preisen, nur arbeitslos zu sein", sagte Yağmur noch vor wenigen Wochen im Interview. "Immerhin bin ich nicht im Gefängnis."
Doch seitdem hat sich die Lage weiter verschlechtert. Sofort nach dem Putschversuch erhielt der Journalist Hassmails und Drohungen wegen seiner Waffen-Reportage. Erdogan beschuldigt das Gülen-Netzwerk angesichts dieser Berichte der Spionage. Yağmur beschloss, das Land zu verlassen. Am Flughafen wurde er festgehalten. "Gegen mich laufen verschiedene Verfahren, unter anderem wegen Beleidigung des Präsidenten", erklärt er. "Offenbar hatte ich eine Gerichtssitzung verpasst, weswegen man mich bei der Passkontrolle festhielt. Ich verbrachte eine Nacht in U-Haft. Im Gefängnis war ich der einzige Zivilist, alles andere waren Militärs, meist einfache Soldaten." Er holt Luft. "Ich bin Zeuge von Folter geworden. Wie kann ich noch in die Gerechtigkeit der Justiz vertrauen?" Er fügt hinzu, dass er nicht ins Land zurückkehren wird, solange der Ausnahmezustand anhält. "Es ist klar, dass die Anschuldigungen der Beihilfe zum Putsch Unsinn sind. Ich habe die Gülenbewegung immer kritisiert, in meiner Arbeit und privat. Ich schäme mich, mit Putschverdächtigen auf einer Liste zu stehen. Dies ist ein Rachefeldzug der Regierung gegen kritischen Journalismus, nichts weiter."
"Die Hexenjagd muss aufhören"
Dieser Meinung ist auch Erol Önderoğlu, der Türkeivertreter für die Menschenrechtsgruppe Reporter ohne Grenzen. "Es ist unmöglich, die wirklich Schuldigen auf diese Weise zu finden", sagt er. "Natürlich hat die Regierung das Recht, Putschisten zu finden und zu bestrafen, aber Meinungsfreiheit ist eines der Grundprinzipien einer Demokratie. Diese Hexenjagd auf Journalisten muss aufhören."
Auch Ahmet Can (Name geändert) ist nervös. Wie viele, die sich zum Putschversuch äußern, möchte der Anwalt anonym bleiben. Er vertritt einen Journalisten, der wegen Beihilfe zum Putsch angeklagt werden könnte. "Es ist unklar, was sie meinem Klienten genau vorwerfen. Sie haben überhaupt keine stichfesten Beweise. Noch dazu ist er schon immer ein ausgesprochener Gegner militärischer Eingriffe gewesen." Can macht sich Sorgen, dass es aufgrund der Beschlüsse, wie sie jetzt aufgrund des Ausnahmezustands von der Regierung erlassen werden, keine fairen Gerichtsprozesse mehr geben wird.
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