Türkei: Erdogan will Lob statt Kritik des Westens
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Kritik des Westens an den Massenverhaftungen nach dem gescheiterten Putsch zurückgewiesen. Die Staaten sollten die Türkei für die Niederschlagung des Putsches loben, anstatt sich an die Seite der Verschwörer zu stellen, sagte Erdogan am Freitag.
Prominente Unternehmer festgenommen
Der Machthaber schloss nicht aus, dass die Zahl der Inhaftierten noch steige, wenn weitere Unterstützer der Putschisten gefunden würden. Bisher soll es mehr als 18.000 Festnahmen gegeben haben. Am Freitag wurden nun auch drei prominente Unternehmer festgenommen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Der Chef des Boydak-Konzerns, Mustafa Boydak, wurde demnach in der zentraltürkischen Stadt Kayseri in Gewahrsam genommen.
Auch zwei weitere Mitglieder der Unternehmensleitung, Sükrü und Halit Boydak, seien festgenommen worden. Zudem seien Haftbefehle gegen den früheren Konzernchef Haci Boydak sowie die Verwaltungsratsmitglieder Ilyas and Bekir Boydak erlassen worden. Laut Anadolu stehen die Ermittlungen im Zusammenhang mit den finanziellen Aktivitäten der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Die Boydak-Holding ist im Energie- und Finanzsektor aktiv und besitzt die bekannten Möbelmarken Istikbal und Bellona.
Unter den rund 18.000 bisher festgenommen Verdächtigen sind neben Armeeangehörigen auch vor allem Richter, Polizisten und Staatsanwälte.
Luftwaffenstützpunkt geschlossen
Der türkische Regierungschef Binali Yildirim gab inzwischen bekannt, dass der Luftwaffenstützpunkt Akinci nordwestlich der Hauptstadt Ankara geschlossen werden soll. Dieser soll den Putschisten vor zwei Wochen als Basis gedient haben, so Yildirim in einer Rede, die im Fernsehen übertragen wurde. Zusätzlich kündigte er die Schließung aller Kasernen an, die die Putschisten während ihres Coups nutzten.
Streitkräfte brauchen "neues Blut"
In der Türkei sind im Zuge der angekündigten Neuausrichtung der Armee 99 Oberste zu Generälen beziehungsweise Admirälen befördert worden. Wie das Militär am Freitag außerdem mitteilte, wurden 48 Generäle in den Ruhestand verabschiedet. An der Spitze der Streitkräfte gab es nach dem gescheiterten Putschversuch allerdings kaum Veränderungen.
Präsident Recep Tayyip Erdogan billigte die Entscheidungen des Obersten Militärrates, der einmal im Jahr zusammenkommt und dabei auch wichtige Personalentscheidungen trifft. Der Chef der Streitkräfte, Hulusi Akar, sowie die Kommandanten von Heer, Marine und Luftwaffe behalten ihre Posten, wie Erdogans Sprecher bereits am Donnerstagabend bekanntgab.
Vor dem von Ministerpräsident Binali Yildirim geleiteten Treffen mit den ranghöchsten Kommandanten waren fast 1.700 Armeeangehörige wegen des Vorwurfs der Verwicklung in den Putschversuch Mitte Juli in Unehren entlassen worden. Dazu gehörten rund 40 Prozent der Generäle und Admiräle. Erdogan hatte angekündigt, dass die Streitkräfte neues Blut brauchten.
Türkische Opposition spricht von "Hexenjagd"
Angesichts von Massenfestnahmen, Suspendierungen und Medienschließungen in der Türkei haben die beiden größten Oppositionsparteien übereinstimmend vor einer "Hexenjagd" gewarnt. "Es darf in der Türkei keine Hexenjagd gegen Unschuldige geben", sagte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP der Bild-Zeitung. "Journalisten zu verhaften wird unserer Demokratie schaden." Der Chef der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, sagte am Freitag in Istanbul: "Im Moment verwandelt sich das Ganze zunehmend in eine Hexenjagd."
Demirtas sagte weiter, es scheine zwar so, als richteten sich die Maßnahmen derzeit tatsächlich vor allem gegen Gülen-Anhänger und nicht pauschal gegen alle Regierungsgegner. Es sei aber nicht überzeugend, dass Zehntausende Sympathisanten der Gülen-Bewegung Verbindungen zum Putschversuch gehabt haben sollten. "Menschen, die eine Gülen-nahe Schule besucht haben oder in einem Gülen-nahen Verein gearbeitet haben oder in einer ihm nahen Zeitung gearbeitet haben, können nicht unmittelbar als Putschisten beschuldigt werden."
Gülen der Schuldige?
Alle drei Oppositionsparteien im Parlament - CHP, HDP und die ultranationalistische MHP - haben den Putschversuch verurteilt, für den die Regierung den Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Auch Kilicdaroglu sagte: "Ich denke, dass die Vorwürfe gegen die Gülen-Bewegung auf Fakten beruhen." Damit sind sie auf einer Linie mit Erdogan und seiner AKP, die bereits kurz nach dem Putschversuch Gülen verantwortlich gemacht haben.
Morddrohungen und Auslieferungswunsch
In Deutschland erhält der Sprecher der Gülen-Bewegung, Ercan Karakoyun, seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei Morddrohungen. Er sei "zur Zeit Beschimpfungen, Beleidigungen und sogar Morddrohungen ausgesetzt". Diese seien für ihn "sehr beängstigend", sagte er dem Sender SWR-Info.
Ebenfalls fordert die Regierung in Ankara von Deutschland die Auslieferung von türkischen Gülen-Anhängern. Das sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag dem Sender CNN Türk nach dessen Angaben. Cavusoglu sprach in dem Zusammenhang von "manchen Richtern und Staatsanwälten", die der Gülen-Bewegung angehörten und sich derzeit in Deutschland aufhielten. "Auch ihre Auslieferung ist notwendig." Die Regierung in Deutschland kritisiert dies natürlich. Mehr dazu finden Sie hier.
Aserbaidschan entzog Sender Lizenz
Wegen seiner Berichterstattung über den Putschversuch in der Türkei hat ein Gericht in der Südkaukasusrepublik Aserbaidschan einem privaten Fernsehsender vorübergehend die Lizenz entzogen. Der Kanal ANS habe Propaganda verbreitet und dabei eine Position eingenommen, die der strategischen Partnerschaft zwischen Aserbaidschan und der Türkei schade, so die Rundfunkbehörde in der Hauptstadt Baku.
ANS habe unter anderem den Putschversuch in einer Reportage als Inszenierung durch die türkische Regierung dargestellt, hieß es nach örtlichen Medienberichten vom Freitag. Daher müsse der Sender rückwirkend ab dem 18. Juli für einen Monat die Arbeit einstellen, entschied das Gericht. ANS kündigte an, die Entscheidung anzufechten. Zuvor hatte zudem ein Mitarbeiter in den USA den geistlichen Fethullah Gülen interviewt, den die türkische Führung als Drahtzieher des Staatsstreiches sieht.
Die Türkei ist einer der engsten Verbündeten der muslimisch geprägten Ex-Sowjetrepublik. Aserbaidschanisch ist eine Turksprache und daher mit dem Türkischen eng verwandt.
Die sogenannten Säuberungsaktionen der türkischen Regierung in der Armee behindern nach Ansicht der USA den Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS). "Viele unserer Gesprächspartner sind entlassen oder verhaftet worden", beklagte Geheimdienstdirektor James Clapper am Donnerstag auf einer Sicherheitskonferenz in Aspen im US-Bundesstaat Colorado. Dies sei zweifellos ein Rückschlag und erschwere die Zusammenarbeit mit dem Nato-Staat. Betroffen sei der gesamte Sicherheitsapparat.
Türkei als Stützpunkt für den Kampf gegen den "IS"
Nach dem gescheiterten Putsch sind fast 1.700 Armeeangehörige unehrenhaft entlassen worden, darunter etwa 40 Prozent der Admiräle und Generäle. Ein Drittel der insgesamt 360 Generäle sind festgenommen worden. Die USA fliegen vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus Einsätze gegen den IS in Syrien und im Irak. Auch die deutsche Bundeswehr nutzt die Basis. Der US-Geheimdienst CIA unterhält zudem einen Stützpunkt in der Türkei, von der aus er mutmaßlich gemäßigte syrische Aufständische unterstützt. Zudem gibt es amerikanische Horchposten in dem Land sowie ein Frühwarnradar für ein europäisches Raketenabwehrsystem. Dennoch gibt es zwischen den beiden Staaten Spannungen: So haben US-Vertreter beklagt, dass die türkisch-syrische Grenze für IS-Kämpfer nicht geschlossen sei.
Türksicher Außenminister Säuberungen seien kein Nachteil
Die Bedenken des US-Geheimdienstdirektors James Clapper seien bedauerlich, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Freitag derweil zur Kritik der US-Geheimdienste. Die "Säuberungen" im türkischen Militär seien kein Nachteil für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). "Im Gegenteil - wenn die Armee gesäubert ist ... wird sie vertrauenswürdiger sein, sauber und effektiv im Kampf", sagte Cavusoglu. Er versuchte zudem, Bedenken des Westens über eine Annäherung der Türkei an Russland zu zerstreuen. Die Beziehungen zu Russland seien keine Alternative zur NATO und der Europäischen Union.
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