Türkei: Furcht vor dem "Syrien-Virus"
Sie war von der türkischen Kurden-Guerilla PKK für den September angekündigt worden, und in der Nacht auf Montag startete die Herbst-Offensive: In einer konzertierten Angriffswelle wurden im Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak mehrere Polizeistationen und Militärposten, aber auch Verwaltungsgebäude mit Panzerfäusten und Sturmgewehren ins Visier genommen. Dabei starben zehn Sicherheitskräfte, auch 20 Rebellen wurden bei den heftigen Gefechten getötet.
"Ziel der Aufständischen ist es, ,befreite Gebiete" zu errichten – zumindest symbolisch", so der Politologe Mehmet Öcal im KURIER-Gespräch. Dazu würden in Regionen mit überwiegend kurdischer Bevölkerung Einrichtungen der Armee und der Administration attackiert. Türkische Fahnen sollten – kurzfristig – durch kurdische ersetzt werden.
Groß-Kurdistan
"Vorbild sind die Entwicklungen in Syrien", sagt der Experte, der an der Universität Kayseri lehrt. Im Reich des wankenden Staatschefs Bashar al-Assad waren im Juli militante Kurden in jenes Machtvakuum vorgestoßen, das entstand, nachdem die syrischen Streitkräfte zum strategischen Rückzug geblasen hatten – und das Terrain preisgaben.
Sehr zum Ärger Ankaras, wo man eine länderübergreifende Kooperation der türkischen, syrischen und irakischen Kurden fürchtet, deren visionäres Endziel ein Groß-Kurdistan sein könnte. Das Drängen der türkischen Regierung auf Schutzzonen im Norden Syriens ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen – in einem Aufwischen könnte man die syrischen Kurden an die Kandare nehmen.
Im eigenen Land bekämpft Ankara die PKK seit nunmehr fast drei Jahrzehnten. Die Kurden-Guerilla ist zwar geschwächt und "verliert selbst im kurdischen Volk an Rückhalt" (Mehmet Öcal), zu verlustreichen Nadelstichen ist sie aber allemal noch fähig.
Konfliktlösung "fast unmöglich"
Der neue Syrien-Gesandte Lakhdar Brahimi gilt als Realist. Wenig Hoffnung legt der UN-Vermittler in die Möglichkeit, den Bürgerkrieg diplomatisch zu lösen: "Ich weiß, wie schwer es ist – fast unmöglich", sagte er der BBC. Bereits sein Vorgänger Kofi Annan hatte enttäuscht das Handtuch geworfen. Er konnte im UN-Sicherheitsrat keine Einigkeit herbeiführen.
Brahimi wird laut syrischer Regierung bald in Damaskus erwartet. Dass die Zeit für einen Dialog mit dem Regime von Bashar al-Assad abgelaufen ist, scheint anderswo klar: In Berlin beraten derzeit 50 Delegationen der internationalen Gemeinschaft mit der syrischen Opposition über die Zeit nach Assad.
Die Lage der Flüchtlinge ist indes prekär: Laut UNO brauchen 2,5 Millionen Syrer Hilfe, 190.000 Menschen sind geflohen, Tausende sitzen an der Grenze zur Türkei fest. Laut syrischen Menschenrechtlern war der August der bisher blutigste Monat: Mehr als 5400 Menschen starben.
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