Triumph für Erdogan: Klarer Sieg bei Präsidentenwahl

Wähler bestätigen autoritären Kurs des Premiers. Absolute Mehrheit im ersten Durchgang.

Recep Tayyip Erdogan ließ seine Anhänger lange warten. Tausende hatten sich mit Fahnen und Wimpeln vor dem Sitz der Erdogan-Partei AKP in Ankara versammelt, um die erste Rede ihres frisch gewählten Präsidenten zu hören. Als Erdogan am späten Abend endlich auf dem Balkon seines Hauptquartiers erschien, brach Jubel los. "Die Türkei ist stolz auf dich", rief die Menge.

Der neue Präsident schlug außergewöhnlich versöhnliche Töne an. Erdogan, sonst für seine teils rüden Attacken auf seine Gegner bekannt, dankte ausdrücklich auch jenen Türken, die ihn wählten, für ihren Beitrag zur ersten Direktwahl des türkischen Staatspräsidenten. Nicht nur Recep Tayyip Erdogan habe die Wahl gewonnen, sondern der "nationale Wille", die Demokratie und selbst jene, die nicht mit ihm selbst einverstanden seien. Gebraucht werde eine "neue gesellschaftliche Verständigung". Bei Lebensstil oder Religion könne es durchaus Unterschiede geben – doch alle seien zuerst Türken.

Gespaltene Gesellschaft

Triumph für Erdogan: Klarer Sieg bei Präsidentenwahl
Das Ergebnis der Wahl unterstrich allerdings die Spaltung der türkischen Gesellschaft: Erdogan kam auf knapp 52 Prozent der Stimmen, sein Hauptkonkurrent Ekmeleddin Ihsanoglu auf 38,5 Prozent und Kurdenkandidat Selahattin Demirtas auf fast 10 Prozent. Damit blieb Erdogan weit unter den eigenen Voraussagen von bis zu 57 Prozent.

Die Wahlbeteiligung lag bei 77 Prozent, die niedrigste seit zehn Jahren. Beobachter führten dies vor allem auf die Resignation bei Oppositionswählern zurück, die nicht zur Wahl gingen, weil sie Erdogans Erfolg für unvermeidlich hielten.

Am Ende konnte kein Ereignis Erdogan etwas anhaben, weder das harte Vorgehen gegen die Gezi-Protestbewegung im vergangenen Jahr, noch die Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung. Auch das schwere Grubenunglück von Soma, bei dem im Mai 301 Bergleute ums Leben kamen und das vom Premier zunächst als unvermeidlicher Unfall heruntergespielt wurde, hatte keine Folgen für ihn: In Soma holte Erdogan 48 Prozent der Stimmen. Bei den türkischen Wählern in Deutschland kam Erdogan auf fast 70 Prozent.

In der Türkei selbst punktete Erdogan vor allem in den islamisch-konservativen Gegenden Anatoliens sowie in den Großstädten wie Istanbul, wo er auf rund 53 Prozent kam. In einigen ländlichen Provinzen erhielt Erdogan 80 Prozent der Stimmen.

Als Ministerpräsident regiert Erdogan bereits seit mehr als zehn Jahren – jetzt kommen mindestens fünf weitere Jahre als 12. Präsident der Republik bis zum Jahr 2019 hinzu: Dann wäre Erdogan 16 Jahre an der Macht und hätte damit selbst Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk übertroffen.

Präsidialsystem

Mit dem Präsidententitel allein will sich Erdogan aber nicht zufrieden geben – er strebt nach einem Präsidialsystem, das die Politik der Türkei gründlich verändern wird. Derzeit weist die türkische Verfassung dem Staatsoberhaupt vor allem eine repräsentative Rolle zu. Doch Erdogan will alle vorhandenen Befugnisse des Präsidenten – etwa bei der Leitung von Kabinettsitzungen – voll ausnutzen und darüber hinaus mit Verfassungsänderungen ein Präsidialsystem verankern. Gegner befürchten die Errichtung eines autoritären und islamisch-konservativen Ein-Mann-Regimes.

Zunächst wird Erdogan für die Zeit nach seinem offiziellen Amtsantritt Ende August aus den Reihen der AKP einen neuen Ministerpräsidenten auswählen.

Recep Tayyip Erdogan – wer sonst? Die ersten direkten Präsidentenwahlen in der Türkei brachten wie erwartet einen klaren Sieg für den noch amtierenden Regierungschef – aber nicht unbedingt einen für die Demokratie im Land. Den zuletzt immer selbstherrlicher agierenden Regierungschef konnte nichts ernsthaft in Bedrängnis bringen. Die Massenproteste des Vorjahres ließ er gewaltsam unterdrücken. Die Korruptionsvorwürfe in seinem engsten Umfeld, selbst innerhalb seiner eigenen Familie, saß er aus. Kritiker werden verunglimpft, eingesperrt oder strafversetzt. Nicht einmal das schwerste Minenunglück der Türkei, wo heuer wegen laxer Sicherheitsvorschriften 300 Menschen sterben mussten, hat Erdogan wirklich geschadet.

Mysterium ist das keines: Denn für die wahlentscheidende Mehrheit der Türken zählt nicht, dass ihr Regierungschef die Justiz des Landes ungeniert vor seinen Karren spannt oder dass er mit religiösen Vorschriften immer rigider in ihr Privatleben eingreift. Für sie ist der seit elf Jahren regierende Premier jener Mann, der die Wirtschaft der Türkei entfesselt hat. Der Millionen Menschen aus der Armut holte. Der den vielen konservativen Muslimen des Landes zu neuem Selbstvertrauen verhalf.

Ausgestattet mit diesem betonharten Dankbarkeitssockel, wird sich Erdogan deshalb einmal mehr in seinem autoritärem Politikstil bestätigt sehen – und auch als Präsident von seinem absoluten Machtanspruch nicht abrücken. Die Proteste im Gezi-Park aber haben gezeigt: Erdogan mag sich nicht verändert haben – die Türkei aber hat es sehr wohl. Der Staat, das ist nicht nur Erdogan, sondern das sind auch all jene, die sich eine liberalere, freiere und demokratischere Türkei wünschen.

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