Türkei: 24 Sendern die Lizenz entzogen

Nach dem Putschversuch ist der türkische Präsident zur Einführung der Todesstrafe bereit. Weitere Beamte suspendiert.

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei hat die Telekommunikationsbehörde RTÜK insgesamt 24 Radio- und Fernsehstationen die Sendelizenz entzogen. Die Behörde teilte mit, bei den Sendern sei festgestellt worden, dass sie Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen hätten, den die Türkei für den Putschversuch verantwortlich macht. Der Beschluss sei auf einer RTÜK-Sondersitzung am Dienstag in Ankara gefällt worden.

Ungeachtet und trotz aller Mahnungen aus Europa ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereit, in seinem Land die Todesstrafe wieder einzuführen. Dies betonte Erdogan in der Nacht zum Dienstag in einer Rede vor Anhängern in Istanbul sowie im Gespräch mit CNN. Voraussetzung für die Einführung der Todesstrafe sei ein verfassungsändernder Beschluss des Parlamentes, sagte Erdogan in seinem ersten Interview nach dem gescheiterten Militärputsch dem US-Nachrichtensender CNN.

Türkei: 24 Sendern die Lizenz entzogen
Turkish President Tayyip Erdogan talks during an exclusive interview with CNN's Becky Anderson (L) at his office in Istanbul, Turkey, July 18, 2016. Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVE.

"Wenn sie (die Parteien) bereit sind, das zu diskutieren, dann werde ich als Präsident jede Entscheidung des Parlamentes billigen." Es reiche, dass das türkische Parlament das entscheide. Die Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 2004 sei dabei kein Hindernis. "Es sind keine Gesetze, die man nicht verändern kann."

Türkei: 24 Sendern die Lizenz entzogen
Turkish President Tayyip Erdogan greets his supporters as he leaves from his residence in Istanbul, Turkey, July 18, 2016. Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVE.

Am Mittwoch werde indes eine "wichtige Entscheidung" fallen, die er noch nicht verraten wolle. Der Nationale Sicherheitsrat und das Kabinett werden zu Sitzungen zusammenkommen, sagte Erdogan vor Regierungsanhängern an seinem Wohnsitz in Istanbul. Ob die von Erdogan angekündigte "wichtige Entscheidung" tatsächlich die Todesstrafe betrifft, oder vielleicht eine Änderung des Präsidialsystems, darüber wird derzeit spekuliert. Erdogan kündigte zudem weitere Konsequenzen auf den gescheiterten Putsch von Teilen des Militärs an.

Weitere Suspendierungen von Beamten

Nach dem gescheiterten Putschversuch hat das Bildungsministerium landesweit 15 200 Staatsbedienstete aus seinem Verantwortungsbereich vom Dienst suspendiert. Die Suspendierungen seien Teil der Operationen gegen Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den die Türkei für den Putschversuch verantwortlich macht, teilte das Ministerium am Dienstag mit. Gegen sie seien Ermittlungen eingeleitet worden. Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, beim Geheimdienst MIT seien 100 Mitarbeiter suspendiert worden. Diese hätten aber keinen Zugang zu Geheimdienstinformationen gehabt. Die Nachrichtenagentur DHA meldete, im Amt des Ministerpräsidenten seien 257 Menschen suspendiert worden. Der Sender CNN Türk berichtete, die Religionsbehörde Diyanet habe 492 Mitarbeiter suspendiert. Insgesamt stieg die Zahl der Suspendierungen aus dem öffentlichen Dienst seit Niederschlagen des Putschversuches auf rund 29 000.

Erdogan-kritischer Journalist warnt vor Hexenjagd

Der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, hat nach dem Putschversuch in der Türkei vor einer "Hexenjagd" gewarnt. Präsident Recep Tayyip Erdogan habe den Putschversuch als "Geschenk Gottes" bezeichnet, und es sei klar, "dass er dieses Geschenk ausschlachten und eine Hexenjagd starten wird auf all seine Gegner", sagte Dündar der "Huffington Post" laut einer am Dienstag verbreiteten Meldung.

Die Unterdrückung in der Türkei werde zunehmen, warnte der in der Türkei wegen Geheimnisverrats zu knapp sechs Jahren Gefängnis verurteilte "Cumhuriyet"-Chefredakteur. "Die Zeit für Erdogans persönlichen Staatsstreich ist gekommen." Die Türkei sei dabei, sich von einem säkularen und nach Demokratie strebenden Staat in ein "antidemokratisches Unterdrückungsregime" zu verwandeln, "das sich über alle westlichen Werte und Prinzipien empört".

Der deutschen Bundesregierung und der EU warf Dündar Doppelmoral vor, wenn sie den Putschversuch des Militärs verurteilten, "gleichzeitig aber bei einem Aufstand des Staates schweigen". Zu einer möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei sagte der Journalist: "Wir können nur hoffen, dass (Bundeskanzlerin Angela) Merkel und andere EU-Politiker jetzt keine Tritthocker unter die Galgen in der Türkei stellen, indem sie sagen, 'Der Flüchtlings-Deal ist uns aber äußerst wichtig.'"

Oppositionsführer unterstützt Einführung der Todesstrafe

Inzwischen stellte der Oppositionsführer Devlet Bahceli von der nationalistischen MHP seine Unterstützung bei der Einführung der Höchststrafe in Aussicht. "Wenn die AKP bereit ist, die Todesstrafe einzuführen, ist auch die MHP bereit", zitierte die Daily Sabah den nationalistischen Politiker am Dienstag. Für die Wiedereinführung der Todesstrafe benötigt Erdogan eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Mit einer 60-Prozent-Mehrheit der Stimmen wäre ein Referendum möglich, das dann nur eine einfache Mehrheit im Volk bräuchte. In jedem Fall wäre die islamisch-konservative Regierungspartei AKP aber auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen.

"Putschisten im Gefängnis durchfüttern?"

Erdogan verwies in dem Interview mit CNN auch auf einen Wunsch seines Volkes nach der Höchststrafe. "Warum sollte ich sie (die Putschisten) auf Jahre hinweg im Gefängnis halten und füttern? - das sagen die Leute." Die Menschen wollten "ein schnelles Ende" der Putschisten, zumal sie Angehörige, Nachbarn oder Kinder verloren hätten. Eine rückwirkende Bestrafung der Putschisten wäre jedoch verfassungswidrig. Laut Artikel 38 der Verfassung, in dem 2004 auch die Abschaffung der Todesstrafe verankert wurde, darf niemand schwerer bestraft werden als die zum Zeitpunkt der Tat angedrohte Strafe vorsieht. Die Strafe darf also nicht rückwirkend höher ausfallen.

Todesstrafe "ist K.O.-Kriterium" für EU-Beitritt

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat die Einführung der Todesstrafe in der Türkei als "K.O.-Kriterium" für einen Beitritt zur Europäischen Union bezeichnet. In einer Sondersitzung des außenpolitischen Ausschusses des EU-Parlaments zur Türkei sagte Hahn am Dienstag in Brüssel, die Todesstrafe "ist praktisch ein Ausschließungsgrund". Auch für Bundeskanzler Christian Kern betonte, dass sich die Türkei damit "außerhalb des Wertekonsenses", stellen würde. "Und dann ist zwingend das Ende dieser Verhandlungen eingetreten", sagte Kern am Montagabend im TV-Sender Puls 4. Für den ÖVP-Europaabgeordneten Othmar Karas käme die Einführung der Todesstrafe in der Türkei "einem Verhandlungsabbruch" mit der EU über die Beitrittsverhandlungen gleich.

Großbritannien warnt Türkei

Die EU-Staaten riefen unterdessen die türkischen Behörden eindringlich zur Zurückhaltung auf. "Es muss alles dafür getan werden, weitere Gewalt zu vermeiden", heißt es in einer am Montag von den Außenministern in Brüssel verabschiedeten Erklärung. Es gehe jetzt darum, neue Opfer zu vermeiden und wieder Ruhe herzustellen.

Die britische Regierung hat die Türkei eindringlich von einer Wiedereinführung der Todesstrafe abgeraten. "Es wäre ein großer Rückschritt, der dem Ansehen der Türkei unermesslichen Schaden zufügen könnte“, sagte der britische Außen-Staatssekretär Alan Duncan am Dienstag im Londoner Unterhaus.
Duncan bekräftigte, dass die britische Regierung die Todesstrafe entschieden ablehne. London gilt als enger Verbündeter Ankaras und hat sich in der Vergangenheit auch massiv für einen raschen EU-Beitritt des Landes eingesetzt. In jüngster Zeit hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern jedoch abgekühlt.

Schulz: "Verräterische Sprache"

Massive Kritik an Erdogans Auslegung der Demokratie übte auch Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments. "Die Sprache, die da gewählt wird, ist ja verräterisch", sagte er in den ARD-Tagesthemen am Montag. ""Säuberung", "Metastasen ausmerzen", das ist ja nicht die Sprache der parlamentarischen Demokratie, sondern die eines autoritären Herrschers, und was wir erleben ist, dass Erdogan versucht, das Land der AKP und sich selbst endgültig und definitiv zu unterwerfen."

26 Generäle in Untersuchungshaft

Am Montagabend ordnete ein Gericht in Ankara an, dass 26 ranghohe Militärs bis zum Beginn ihres Prozesses weiter im Gefängnis verbleiben müssen. Laut dem Brüsseler Politikmagazin Vocal Europe wird allen Inhaftierten das Recht auf einen Anwalt verwehrt. Zu den Beschuldigten zählt auch der frühere Kommandant der türkischen Luftwaffe, Akin Öztürk, der am Montag als der Anführer der Putschisten ausgemacht wurde, was dieser jedoch bestreitet. "Ich bin nicht derjenige, der den Putsch geplant oder angeführt hat", erklärte er laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Er wisse nicht, wer hinter dem Umsturzversuch stecke.

Dokumente über Gülen-Bewegung übermittelt

Nach CNN-Angaben erklärte Erdogan zudem, er werde die USA in den kommenden Tagen offiziell um die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen ersuchen. Laut einem Bericht der Washington Post sagte Vizepremier Numan Kurtulmus am Dienstag, die Türkei habe den USA bereits Dokumente übermittelt, die Details über die Aktivitäten von Gülens Hizmet-Bewegung enthalten würden. Er könne keine Details nennen, aber es ginge darin um jüngste Aktivitäten der Bewegung. Die Dokumente enthielten auch neue Beweise aus den aktuellen Nachforschungen. Ein Auslieferungsansuchen werde folgen. Gülen lebt in den USA im Exil; er bestreitet Erdogans Vorwürfe, in den Putschversuch verwickelt zu sein.

Seit dem Putsch am Freitag sind nach Angaben von Regierungschef Binali Yildirim 7.543 Verdächtige festgenommen worden, darunter 6.038 Soldaten und 100 Polizisten, 755 Richter und Staatsanwälte sowie 650 weitere Zivilisten. Mehr als 13.000 Staatsbedienstete wurden suspendiert, darunter 7.899 Polizisten und 2.745 Justizbeamte.

WikiLeaks droht mit 100.000 Dokumenten

Die Aufdeckerplattform WikiLeaks hat der türkischen Regierung den Kampf angesagt: Am Montag kündigte WikiLeaks die Veröffentlichung von sensiblen Dokumenten an. "Macht euch zum Kampf bereit, wenn wir mehr als 100.000 Dokumente über die Struktur der politischen Macht der Türkei veröffentlichen", heißt es im offiziellen Twitter-Account von WikiLeaks.

Türkischer Verband Atib: Todesstrafe "völlig inakzeptabel"

Die Türkisch Islamische Union (ATIB), der größte religiöse Verband von Türken in Österreich, hat sich klar gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei ausgesprochen. "Nein, das ist völlig inakzeptabel. Im Jahr 2016 braucht man nicht über die Einführung der Todesstrafe reden", sagte ATIB-Vorstandsmitglied Metin Akyürek am Dienstag im Ö1-Morgenjournal.

Zum umstrittenen Vorgehen der türkischen Regierung gegen mutmaßliche Putschisten sagte Akyürek, dass "rechtsstaatliche Verfahren die Geschehnisse klären" sollen. Man müsse aber berücksichtigen, dass in der Türkei zwei Tage nach dem gescheiterten Putschversuch "Ausnahmezustand herrscht". Doch sei ATIB als religiöse Organisation "nicht befugt, politische Geschehnisse in der Türkei zu kommentieren", unterstrich Akyürek, aus dessen Verband auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ibrahim Olgun, stammt.

Kritisch äußerte sich Akyürek zu den umstrittenen Pro-Erdogan-Demonstrationen am Wochenende, die von der österreichischen Politik, aber auch von türkischen Vereinen verurteilt worden waren. "Wir unterstützen überhaupt keine Bewegung, die Politik und Religion mischt", betonte er. Es solle "demokratisch Widerstand geleistet" werden, so Akyürek.

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