Tschechien hat höchste Inzidenz der Welt, doch Bürger wollen nicht mehr

Tschechien hat höchste Inzidenz der Welt, doch Bürger wollen nicht mehr
Tschechien bricht schon wieder den weltweiten Ansteckungsrekord. Die Spitäler sind übervoll, und die Bürger haben Regierung und Maßnahmen langsam satt.

Die Lage ist trist, sehr trist - und das schon wieder. Im Herbst erst stand Tschechien in den Schlagzeilen, weil das Land die weltweit höchsten Infektionsraten aufwies, und jetzt ist es schon wieder so weit: Österreichs nördlicher Nachbar führt das traurige Ranking mit einem Wert von 773 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen der vergangenen sieben Tage an.

Zum Vergleich: Österreich liegt derzeit bei einem wert von 160, Deutschland bei 67.

46 Prozent bleiben mit Symptomen nicht daheim

Das hat, da sind sich Experten einig, hauptsächlich mit der Verbreitung der britischen Virusmutante zu tun. Aber nicht nur: Die tschechischen Bürger sind Corona-müde. Laut einer Umfrage der WHO gaben 76 Prozent der Tschechen an, ihrer Regierung bei der Pandemiebekämpfung nicht mehr zu vertrauen. Und 46 Prozent sagten gar, sie würden trotz Corona-Symptomen nicht zu Hause bleiben.

Wenig überraschend, dass Premier Andrej Babis bei der Verlängerung des Lockdowns kürzlich regelrecht um Verzeihung bat. „Ich weiß, dass die Regierung in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hat“, sagte er regelrecht schuldbewusst, als er die Maskenpflicht im Freien, eine Reisebeschränkung bis zur Bezirksgrenze und Schulschließungen verkündete. „Geben Sie uns noch einmal eine Chance.“

Lange Liste an Verfehlungen

Ob die Tschechen das auch tun, darf bezweifelt werden. Zu schleppend gehen dafür die Impfungen voran – Tschechien liegt mit 6,3 Prozent geimpfter Bevölkerung hinter Österreich und dem EU-Schnitt. Und zu lange ist die Liste an Fehlentscheidungen, die der Regierung nachhängt: Im Sommer etwa lud man zum „Ende von Corona“ zu einem riesigen Straßenfest in Prag – was folgte, war eine neuerliche Ansteckungswelle. Dann lockerte man vor Weihnachten erneut, was die Zahl der Neuinfektionen im Jänner wieder anschwellen ließ, wie der renommierte Epidemiologe Rastislav Madar jetzt kritisiert. Er war bis vor wenigen Monaten Regierungsberater in puncto Corona, schlug im Sommer eine Maskenpflicht in Innenräumen vor. Das habe man mit Blick auf die Regionalwahlen im Oktober aber einfach bleiben lassen, ärgert er sich heute im Politico-Interview.

Auch bei den jetzt verhängten Regelungen, über deren Einhaltung 26.000 Polizisten und 5000 Soldaten wachen, gebe es viel zu viele Schlupflöcher. So muss man beim Verlassen des Wohnbezirks einen triftigen Grund vorweisen – doch die Liste des Ministeriums für eben jene Gründe sei so lange, dass sich für praktisch jeden eine finden lasse, kritisiert Impfkoordinator Robin Sin im Spiegel-Interview. Dazu kommt, dass auch viele Bürger einfach selbst auf die Regelungen pfeifen. Viele tschechische Lokalbesitzer meldeten zuletzt etwa „politische Veranstaltungen“ an, um öffnen zu dürfen – nur, um dann ganz normal Leute zu bewirten.

"Nicht auf Studien warten"

Dass sich das in den Krankenhäusern niederschlägt, verwundert wenig. Derzeit werden so viele Corona-Patienten wie noch nie in den tschechischen Krankenhäusern behandelt, in einer Region sind alle Betten komplett ausgelastet. Teils ist man so verzweifelt, dass sogar unerprobte Medikamente versuchsweise eingesetzt werden. In Brünn testet man etwa ein Antiparasitikum.

Das geht auf eine Initiative von Regierungschef Babis zurück, dessen Spitzname bekanntermaßen „Trump Tschechiens“ lautet. „Wir können nicht auf klinische Studien warten“, sagte er dazu nur lapidar.  

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