Eigentlich sind Kongresswahlen traditionell eine Gelegenheit für Wähler, der Partei des Präsidenten eins auszuwischen, Unmut zu äußern. Gerade demokratischen Präsidenten von Bill Clinton bis Barack Obama standen nach diesen Wahlen plötzlich einer republikanischen Mehrheit in beiden Häusern des US-Kongress gegenüber. Die war vor allem im Repräsentantenhaus erdrückend. Davon ist diesmal kaum etwas zu bemerken. Im Repräsentantenhaus zeichnete sich am Mittwoch eine knappe Mehrheit für die Republikaner ab. Im Rennen um den Senat stand es Unentschieden.
Zwei Argumente, meinten die politischen Beobachter vor den Wahlen, würden den Republikanern landesweit Rückenwind verschaffen: Wirtschaftskrise und Inflation, auf der einen, und Trumps Segen für Hunderte Kandidaten auf der anderen Seite. Der Trump-Bonus blieb aus. Wenn sich einige seiner Lieblinge doch durchsetzen konnten, dann weil sie sich längst einen eigenen Namen gemacht hatten, wer nur als Trump-Marionette auf der politischen Bühne herumturnte, fiel meist durch. „Die Trump-Kandidaten haben die ganze Partei heruntergezogen“, ärgerte sich ein prominenter Republikaner öffentlich in der Wahlnacht.
In wirtschaftlichen Krisensituationen – wie etwa der aktuellen Rekordinflation – setzen die Amerikaner meist lieber auf die Grand Old Party. Für eine Mehrheit war das laut Nachwahl-Umfragen ausschlaggebend bei ihrer Entscheidung. Nicht immer aber ging die zu Gunsten der Republikaner aus: Kandidaten, die wie der Ex-Football-Star Herschel Walker in Georgia offensichtlich keine wirtschaftliche Kompetenz besaßen, konnten nicht so punkten wie zuvor erwartet. Gerade bei Kongresswahlen, bei denen lokale Themen viel mehr zählen als bei Präsidentschaftswahlen, konnten Demokraten mit den Errungenschaften punkten, die ihnen Bidens milliardenschwere Infrastruktur-Pakete finanziert hatten. Brücken, Straßen, neue Kindergärten, dazu besserer Zugang zu medizinischen Leistungen. Die Wähler können sich zwar nicht für Joe Biden erwärmen, für das, was seine Politik in Gang gesetzt hat, dagegen oft schon.
Biden hat aber auch die Empörung für sich nützen können, die für immerhin ein Drittel der Wähler ausschlaggebend war. Es ging um das vom US-Höchstgericht verhängte quasi-Abtreibungsverbot. Der Ärger über diesen radikalen Schritt nach rechts ließ viele Wähler in der politischen Mitte, vor allem Frauen verärgert zurück. Sie ließen dafür die Republikaner im Regen stehen.
Bei aller Erleichterung des Präsidenten. Von einem Wahlsieg waren die Demokraten an diesem Dienstag weit entfernt. Und mit John Fetterman machte das einer der demokratischen Wahlgewinner deutlich. „Wir haben gerade einmal die Linien gehalten“, meinte der in einer ersten Reaktion.
Dem Präsidenten verschafft das zwar ein bisschen politischen Rückenwind, zweifelhaft aber bleibt, ob der ihn bis zum nächsten schon ins Auge gefassten Ziel vorantreibt: einer Wiederkandidatur 2024. Auch bei den Demokraten tauchen die ersten Herausforderer auf, die sich in Startposition für einen Präsidentschaftswahlkampf begeben. Der soeben mit überzeugender Mehrheit als Gouverneur von Kalifornien wiedergewählte Gavin Newsom etwa. Biden ist also vorerst ein Schicksal als „lahme Ente“ im Weißen Haus erspart geblieben. Die Amerikaner aber wird er wohl auch in den nächsten zwei Jahren nicht für sich begeistern können. Eine klare Mehrheit würde ihn gerne in Pension schicken.
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