Trotz Waffenruhe: Wieder Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan

ARMENIA-AZERBAIJAN-CONFLICT
Armenischer Regierungschef sprach vor UNO von "unsäglichen Gräueltaten" durch Aserbaidschan, am Tag darauf entbrannten die Gefechte erneut.

Gut eine Woche nach der von Russland vermittelten Waffenruhe zwischen Armenien und Aserbaidschan wird an der Grenze der beiden Ex-Sowjetrepubliken wieder geschossen. Die Regierungen in Jerewan und Baku beschuldigten einander am Freitag, dass das jeweils andere Militär zuerst das Feuer eröffnet habe. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan hatte dem Nachbarstaat zuvor bei der UNO-Generaldebatte "unsägliche Gräueltaten" vorgeworfen.

Es gebe "Beweise für Folterungen, Verstümmelungen gefangen genommener oder bereits getöteter Soldaten sowie für Misshandlungen Kriegsgefangener", sagte Paschinjan am Donnerstag (Ortszeit) in seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Der Körper einer armenischen Soldatin sei "von aserbaidschanischen Soldaten verstümmelt und auf Video aufgenommen" worden.

Solche "unsäglichen Gräueltaten" seien die "direkte Folge einer jahrzehntelangen Politik der aserbaidschanischen Führung, die der Gesellschaft im Land Hass auf Armenier einpflanzt", sagte Paschinjan.

World leaders address the 77th Session of the United Nations General Assembly at U.N. Headquarters in New York City

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan bat am Donnerstag bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen um Hilfe.

Neue Kämpfe am Freitag

Am Freitag erklärte dann zuerst das armenische Verteidigungsministerium, Aserbaidschan habe in der Früh von verschiedenen Standorten aus armenische Stellungen beschossen. Kurz darauf teilte das Verteidigungsministerium Aserbaidschans mit, Armenien habe bereits seit Donnerstagabend drei verschiedene Bereiche des Grenzgebiets neun Stunden lang immer wieder unter Beschuss genommen. Beide Seiten erklärten, sie hätten zurückgeschossen.

Der seit langem schwelende Konflikt war Dienstag vergangener Woche wieder in Gewalt umgeschlagen. Nach zwei Tagen Kämpfen, bei denen fast 200 Soldaten getötet wurden, verkündete Armenien die Vereinbarung einer Feuerpause.

Die beiden Länder streiten seit Jahrzehnten über das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach. Völkerrechtlich gehört das Kaukasusgebiet zu Aserbaidschan, von dem es sich aber 1991 losgesagt hatte. Der Konflikt war 2020 in einem Krieg eskaliert, der nach sechs Wochen mit einer von Russland vermittelten Waffenruhe beendet wurde.

US Speaker of the House Nancy Pelosi visits Armenia

Vor zwei Wochen besuchte die US-amerikanische Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi Armenien und sicherte die Unterstützung der Vereinigten Staaten zu.

Als Teil der Vereinbarung schickte die Moskauer Regierung anschließend Tausende Soldaten in die Region, um den Frieden zu überwachen. Armenien ist militärisch mit Russland verbündet, das aber auch freundschaftliche Verbindungen zu Aserbaidschan aufrechtzuerhalten versucht. Aserbaidschan wird militärisch und finanziell von der Türkei unterstützt.

Bischof in Wien: "Es geht um unser Überleben"

Für Armenien geht es im Konflikt mit Aserbaidschan um das schiere Überleben seiner Staatlichkeit. Das betont der Wiener armenische Bischof Tiran Petrosyan laut Kathpress in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Tagespost". Nach zwei Tagen schwerer Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien wurde am 14. September eine Waffenruhe verkündet. Diese sei aber bestenfalls eine kurze "Kampfpause", weil es den armenischen Soldaten gelungen sei, die Angreifer zurückzudrängen.

Dörfer und Städte seien evakuiert worden, doch die Männer seien geblieben und kampfbereit. "Kein Armenier wünscht eine Eskalation, aber wir müssen damit rechnen", sagte der Bischof. Es sei nicht auszuschließen, dass es in einer Woche bereits Kämpfe um die Hauptstadt gibt.

Das Ziel der aserbaidschanischen Offensive sei es, einen Korridor quer durch Armenien zu der an die Türkei grenzenden Exklave Nachitschewan zu schaffen, so der Bischof. Zwar habe Armenien dem verfeindeten Nachbarn den Transit durch das Land zugestanden, doch wolle Baku einen Korridor unter eigener Kontrolle. Damit jedoch würde Armenien in zwei Teile zerschnitten - und die Türkei könnte Aserbaidschan unbeobachtet und direkt schwere Waffen liefern. "Das wäre nicht nur für Armenien, sondern für die gesamte Region äußerst gefährlich", warnte Bischof Petrosyan.

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