Tripolis: Radikale Islamisten verteidigen Regierung

Tripolis: Radikale Islamisten verteidigen Regierung
Bis zu 350 Islamisten sind in den vergangenen Tagen nach Tripolis gereist, um für die international anerkannte Regierung zu kämpfen.

Jetzt wird es richtig knifflig für die Unterstützer des libyschen Premierministers Fayez al-Sarraj. Dieser sitzt der international anerkannten Regierung (GNA) vor. Anfang April startete Sarrajs größter Gegenspieler, die „Libysche Nationale Armee“ (LNA) unter Führung von General Khalifa Haftar, eine Offensive auf Tripolis. Sarraj bat seine westlichen Bündnispartner um militärische Unterstützung - die er nicht bekam.

Sarraj verfügt über keine geschlossene Armee, ist in Tripolis auf verbündete Milizen angewiesen. Nun hat er neue Freunde. Mittlerweile sollen 250 bis 350 Islamisten nach Tripolis gelangt sein, berichtet Libyen-Experte Wolfgang Pusztai dem KURIER. Darunter auch Glaubenskrieger aus Syrien, die der Al-Qaida-nahen Terrorgruppe Al-Nusra angehören. "Die Al-Nusra-Kämpfer reisen mit zivilen, libyschen Fluglinien aus dem Mittleren Osten an", sagt Pusztai.

"Nützlicher Idiot für Islamisten"

Das hat gravierende Auswirkungen auf die Kämpfe vor Ort - und auf Europa. "Diese Kämpfer sind gekommen, um zu bleiben. Sie werden Tripolis bis zum letzten Mann verteidigen", erklärt Pusztai. Die Islamisten würden Sarraj nur deshalb nicht stürzen, damit die Regierung international anerkannt bleibe. Das Machtgefälle in Tripolis hat sich verschoben: "Sarraj ist für die Islamisten ein nützlicher Idiot. Ich würde Europa raten, so schnell wie möglich auf Sarraj einzuwirken, dass er den Zufluss von Islamisten stoppt."

Auch mit dem 75-jährigen Haftar müssten Gespräche geführt werden, betont Pusztai, der ein Horrorszenario befürchtet. Haftar will Tripolis erobern. Die Taktik: Haftars Truppen locken die Kämpfer aus der Innenstadt von Tripolis aufs "offene Feld" und bombardieren sie dann aus der Luft. "Das haben die Milizen bisher nicht durchschaut", meint Pusztai.

Die kampferprobten Islamisten könnten diese Taktik sehr wohl erkennen, den Konflikt in die Innenstadt verlagern ein schnelles Ende des Konfliktes hinauszögern. Das brächte eine Zerstörung der Staat und damit einhergehende Verluste unter der Zivilbevölkerung mit sich.

Keine größere Flüchtlingswelle erwartet

Haftars erste Großoffensive war bereits erfolglos. Eine zweite ist für kommende Woche geplant. Die LNA sammelt ihre Kräfte. Der 75-jährige Haftar kontrolliert derzeit etwa 90 Prozent Libyens. International anerkannt ist er nicht. Er gilt den meisten im Westen als Warlord, obwohl er genaugenommen der Kommandant der offiziellen Armee des international anerkannten Parlamentes ist.

Derweil flüchtet ein Großteil der Zivilbevölkerung aus der Kampfzone, ins Landesinnere oder nordafrikanische Nachbarstaaten wie Tunesien. 50.000 bis 70.000 Menschen sind betroffen. Eine größere Migrationswelle hält Pusztai derzeit für unrealistisch: "Es befinden sich auch keine größeren Flüchtlingscamps in der unmittelbaren Kampfzone."

Aufgrund der Kämpfe in Tripolis lassen jedoch die Bemühungen der libyschen Küstenwache nach. "Die Soldaten werden an der Front benötigt", meint Pusztai. Ein gewisser Anstieg der Migration über das Mittelmeer sei somit zu befürchten: "Für die Schlepper ist das eine gute Möglichkeit."

Tripolis: Radikale Islamisten verteidigen Regierung

Süden: IS ist wieder erwacht

Ein Großteil der aktuell nach Tripolis zugereisten Islamisten kommt nicht aus Syrien, sondern aus nordafrikanischen Staaten: legal, zivil, über den Luftweg. Zudem erhalte Sarraj Waffenlieferungen über eine "Firma, die den iranischen Revolutionsgarden nahe steht. Sie werden überraschender Weise über Bulgarien nach Misrata gebracht", so Pusztai. Luftlieferungen aus Katar und der Türkei gebe es ebenfalls. Gleichzeitig erhält das LNA Lieferungen von seinen Bündnispartnern Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Dass Islamisten Sarraj unterstützen, ist grundsätzlich nichts Neues. Die "Al-Faruk-Brigaden", die vor allem in Misrata dominant sind, unterstützen den Premier. "Sie waren auch ein wichtiger Geburtshelfer des Islamischen Staates im Raum Sirte", erklärt Pustzai. Die LNA hat den IS eigentlich tief in den Süden Libyens zurückgedrängt. Parallel zu den Islamisten in Tripolis, hat der IS nun im Süden eine Offensive auf Haftars Gruppen gestartet.

Das Paradoxe an der Situation: Der international anerkannte Präsident Sarraj kann sich nur noch mit der Hilfe von berüchtigten Islamisten an der Macht halten. Haftar, der faktisch den Großteil Libyens sowie die relevanten Erdöl- und Erdgasfelder kontrolliert, wird von Saudi-Arabien und Teilen des Westens gegen Sarraj und die Islamisten unterstützt.

Kommentare