Die Kerntruppen des Ausstands, die noch über vergleichsweise günstigere Pensionsbestimmungen und gleichzeitig über die nötige Macht für eine einschneidende Blockade des Landes verfügen, sind die Eisenbahner und die Bediensteten städtischer Öffis. Ab Donnerstag wird Frankreichs Bahnnetz weitgehend lahm liegen. Die Metro und S-Bahnen im Pariser Großraum werden schon ab Mittwochabend zum Erliegen kommen. Wegen einer massiven Streikbeteiligung der Lehrkräfte wird auch mit der Schließung zahlreicher Schulen gerechnet.
Die radikalsten Aktivisten wollen nötigenfalls bis Weihnachten und darüber hinaus durchstreiken. Das Massenblatt Le Parisien schlagzeilte mit einen „Überlebensleitfaden“, der die Leser durch das Dickicht der Ausfälle führen soll. Die Behörden begünstigen zwar alternative Transportangebote wie etwa Mitfahrzentralen oder Bus-Ersatzverkehr. Aber eine wochenlange Bahnblockade könnte trotzdem „das Land in den Irrsinn treiben“, wie ein Minister in einem inoffiziellen Gespräch gestand.
Denkbar wäre eine derartige Blockade, weil es sie schon einmal gegeben hat: 1995 brachte ein vierwöchiger Bahnstreik Frankreichs Wirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs. Schon damals ging es der Regierung darum, die besonderen Pensionsrechte der Eisenbahner zu kippen. Schließlich musste die konservative Staatsführung ihr Vorhaben wieder annullieren. Viele Franzosen betrachteten den Bahnstreik als probates Mittel um den Sparkurs der Regierung auszubremsen.
Diesmal ist die Stimmung ähnlich: Laut Umfrage halten 66 Prozent der Franzosen den Streik für „gerechtfertigt“. Also hat der Verweis der Regierung auf die vorteilhafteren Pensionsregeln der Eisenbahner bisher kaum gefruchtet: fahrende Bahnbedienstete können mit 52 und nicht Fahrende mit 57 in die Rente gehen. Allerdings hat auch bei der Bahn die laufende Verlängerung der erforderlichen Beitragsjahre, die Abschaffung des bisherigen Dienststatus für Neu-Eingestellte und der Einsatz von Zeitvertragsjobbern dazu geführt, dass die Pensionsprivilegien nur mehr für eine Minderheit älterer Eisenbahner gelten.
Das gesetzliche Pensionsantrittsalter liegt bei 62 Jahren. Aber wiederum wegen der Verlängerung der Beitragsjahre treten die Franzosen im Schnitt mit 63,4 Jahren in den Ruhestand. Rechnet man allerdings alle vor der Pension Entlassenen hinzu, liegt der Durchschnitt der Rentenantritte bei knapp unter 61 Jahren.
Befürworter der Rentenreform betonen, dass den „Sonder-Pensionskassen“ (die auch für weitere Berufszweige im öffentlichen Dienst gelten) jährlich neun Milliarden Euro zugeschossen werden müssen. Die Regierung hat Werbespots in den Medien geschaltet, die gegen den Bestand von „42 verschiedenen Pensionssystemen“ trommeln.
Dieses Durcheinander soll durch ein einheitliches Punkte-System ersetzt werden: Demnach würde jeder pro eingezahlten Betrag und Zeitrahmen eine gleich hohe Pensionsleistung erwerben. Um Unterschiede im Karriereverlauf, etwa bei Arbeitslosen oder Alleinerzieherinnen beziehungsweise im Falle von Schwerarbeit auszugleichen, sollen zusätzliche Punkte vergeben werden.
Aber die Gestaltung und Anwendungsbreite dieser „Hackler-Regelungen“ (wie man in Österreich sagen würde) liegt im Dunkeln. Auch sonst erfolgten bisher von Regierungsseite eher widersprüchliche und diffuse Angaben zur Reform.
Diese Unklarheit hat der Überzeugung Vorschub geleistet, dass die Reform auf eine drastische Verschlechterung der Rentenansprüche hinauslaufen werde. Beflügelt wird dieses Misstrauen durch das Image von Macron als „Präsident der Reichen“, das sich im Zuge des populären Aufstands der „Gelbwesten“ nur noch verfestigt hat. Die Netzwerke der „Gelbwesten“ laufen auf Hochtouren, um den Streik zu einem neuerlichen Sturm auf die Staatsmacht zu nützen.
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