103 tote Frauen: Nach Giulia Cecchettins Mord diskutiert Italien über Femizide
Eine Überwachungskamera hat die Tat gefilmt. Ein junger Mann stürzt sich auf einem Parkplatz in Italien auf eine junge Frau und schlägt sie bewusstlos. Der Mann hebt die Frau hoch und lädt sie blutend in sein Auto. Genau dort, auf dem Parkplatz eines Industriegebiets, finden die Carabinieri später Blutflecken, Haare und Klebeband, an dem Haare hingen. Die Frau und der Täter sind verschwunden.
Alle vier Tage stirbt in Italien eine Frau durch Männerhand. 103 Frauen wurden allein in diesem Jahr in Italien ermordet. 80 davon von einem Partner oder Ex-Lebensgefährten. Doch kein Fall hat die Öffentlichkeit so bewegt wie jener der 22-jährigen Giulia Cecchettin. Der Fall sorgt für Debatten in den Medien und in der Politik.
Täter und Opfer aus bürgerlichem Milieu
Dies hängt zum einen mit den Umständen der Tat zusammen. Nach dem Treffen auf dem Parkplatz mit ihrem Ex-Freund, zu dem sie weiterhin Kontakt hatte, galt Cecchettin als vermisst. Erst Tage später wurde ihre Leiche mit mehrfachen Stichverletzungen an Kopf und Hals in einer Schlucht zwischen dem Berggebiet des Barcis-Sees und Piancavallo in der friaulischen Provinz Pordenone gefunden. Nach tagelanger Flucht - auch durch Österreich - wurde ihr Ex-Freund am Samstagabend auf einer deutschen Autobahn in der Nähe von Leipzig festgenommen. Ihm sollen Geld und Benzin zum Tanken ausgegangen sein.
Das Oberlandesgericht im sachsen-anhaltischen Naumburg teilte am Mittwoch mit, die Auslieferungshaft gegen den 21 Jahre alten Italiener angeordnet zu haben.
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Ermittler vermuten, dass die Leiche der Studentin etwa 50 Meter tief in eine Schlucht hinuntergeworfen wurde. Die Frau sei mit mehreren Messerstichen am Hals getötet worden. Die Leiche wies außerdem zahlreiche Abwehrverletzungen an Händen und Armen auf. Ob die Frau bereits tot war, als sie in die Schlucht geworfen wurde, konnte noch nicht festgestellt werden. Die Leiche war von der Straße aus nicht zu sehen, da sie von einem großen Felsbrocken verdeckt war.
Zum anderen ist es das gutbürgerliche Milieu, aus dem Cecchettin und ihr Ex-Freund stammen. Die Tat ereignete sich kurz vor Cecchettins Examensfeier. Sie hatte ihr Ingenieursstudium in der Mindestdauer absolviert. Wie italienische Medien berichten, soll der junge Mann das Ende der Beziehung nicht verkraftet haben. Dass Cecchettin nach dem Studium ihre Heimatstadt verlassen und eigene Wege gehen wollte, habe nicht in seine Pläne gepasst.
Große Demo für Samstag angekündigt
In mehreren italienischen Städten fanden am Montag Gedenkveranstaltungen statt. Viele Menschen pilgerten zum Haus der jungen Frau in Vigonovo und hinterließen Blumen. In Padua versammelten sich Hunderte von Studentinnen und Studenten in der Universität Cecchettin, um der Ermordeten zu gedenken. In ihrem Heimatort Vigonovo bei Venedig rief ihre Schwester zu mehr Engagement im Kampf gegen Gewalt an Frauen auf. Am Samstag werden in Rom und anderen italienischen Städten Demonstrationen anlässlich des Internationalen Tages zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen erwartet.
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Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, hat einen offiziellen Trauertag ausgerufen. Heute soll in den Schulen des Landes eine Trauerminute für die getötete Frau abgehalten werden. Es werden Forderungen an die Politik und Gesellschaft laut, die traditionellen Geschlechterrollen in Italien endlich stärker infrage zu stellen.
Mehr Geld in Gewaltschutz investieren
Der Tod der Studentin löste auch bei Regierungs- und Oppositionspolitikerinnen und -politikern Bestürzung aus. Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni spricht im Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, von "Barbarei" und einer "Spur der Gewalt, die sich seit Jahren fortsetzt, mit noch dramatischeren Zahlen als in der Vergangenheit". Sie erklärte, dass die italienische Abgeordnetenkammer am Mittwoch über einen Gesetzesentwurf abstimmen wird, der die Schutzmaßnahmen für gefährdete Frauen erweitert, und kündigte eine öffentliche Sensibilisierungskampagne gegen Femizide an.
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Meloni wehrte sich zuletzt auch gegen den Vorwurf, ihre rechtspopulistische Partei "Fratelli d ́Italia" (Brüder Italiens) verteidige eine patriarchalische und frauenfeindliche Gesellschaft. So postete sie auf Facebook ein Bild mit vier Generationen von Frauen aus ihrer Familie. Zu sehen ist Meloni mit ihrer kleinen Tochter Ginevra, ihrer Mutter und Großmutter, die inzwischen gestorben ist. "Ich weiß nicht, wie manche Leute den Mut finden, selbst die schrecklichsten Tragödien auszunutzen, um die Regierung anzugreifen", schrieb Meloni. Sie kritisierte ausdrücklich die Südtiroler Starjournalistin und TV-Moderatorin Lilli Gruber, die am Montagabend laut Meloni behauptet habe, dass Italiens Regierungschefin "Ausdruck einer patriarchalischen Kultur" sei.
Der italienische Bildungsminister will neue Richtlinien für den Pflichtunterricht über Beziehungen und Gleichberechtigung veröffentlichen. Der Opposition reicht das nicht, es brauche ein Gesetz, sagen die Sozialdemokraten und die Fünf-Sterne-Bewegung. Die Chefin der Mitte-Links-Partei (PD), Elly Schlein, bot der Regierung ein gemeinsames Vorgehen an. Der italienische Vizepremier Matteo Salvini betonte seinerseits die Rolle der Familien. Es sei wichtig, "nicht zu glauben, dass die Schule allein alles lösen kann. Offensichtlich gibt es auch zu Hause ein Problem".
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