Bodo Ramelow ist seit 2014 Deutschlands erster linker Ministerpräsident, der mit Sozialdemokraten und Grünen regiert – in einem Land, das 25 Jahre lang von der CDU regiert wurde. Dementsprechend fielen die Reaktionen aus. Fünf Jahre später könnte die Linke stärkste Kraft werden, während sie in den anderen Bundesländern viele Wähler verloren hat. Was ist also anders in Thüringen?
In Jena, wo neben älteren Menschen auch viele Studenten leben, fallen Worte wie Selbstironie, Nahbarkeit. Der frühere Oppositionsführer, einst überwacht vom Verfassungsschutz, hat sich zum Landesvater gemausert. "Der kennt alle Feldwege", sagt einer, der ihn oft durch das Land chauffierte. Zahnmedizinstudentin Katharina macht es am Thema fest: "Er ist offen für Technologien", sagt sie mit Blick auf seinen Vorstoß, Wasserstoff-Technologie zu fördern. Er komme bei Polizisten gut an, deren Anzahl er aufgestockt hat, kommentiert ihr Begleiter.
Der Jenaer Politologe Torsten Oppelland erklärt Ramelows Erfolg damit, dass er sich auf jede Art von Publikum einstellen kann: "Egal, ob er vor dem Bauernverband spricht, vor Lehrlingen oder mit einer Thüringer Delegation zum Papst reist, es gelingt ihm stets, den richtigen Ton zu treffen." Selbst Konservative würden ihn akzeptieren. Oppelland ortet eine Art "Helmut-Schmidt-Phänomen", wo Konservative sagen: "Guter Mann, aber falsche Partei." Mit Daniel Günther, dem CDU-Amtskollegen aus Schleswig-Holstein, gab er zusammen ein Doppelinterview im Spiegel. Tenor: Die Zeit der Ausgrenzung ist vorbei. In der Union sehen das die meisten aber anders, es gibt einen Parteitagsbeschluss gegen eine Kooperation. Die käme aber auch in den Reihen der Linken nicht gut an.
Dort eckt Ramelow mit manchen Ansichten durchaus an. Wenn er sich gegen die Enteignungen von Wohnungskonzernen ausspricht oder bei Abschiebungen über die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten nachdenkt. Wegen seines Erfolgs stellt ihn aber niemand in Frage. "Obwohl die Partei zu PDS-Zeiten eine Art ostdeutsche Volkspartei war, hat sie es in den anderen Bundesländern bisher nur zum Juniorpartner der SPD gebracht, wo am Ende nicht mehr klar war, wofür sie steht. Anders in Thüringen. Das hat ihn enorm gestärkt." Zudem funktioniert dort die innerparteiliche Zusammenarbeit: Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow hält, laut Oppelland, den "Laden zusammen“, während Ramelow nach außen repräsentiert.
Die AfD konnte man dennoch nicht klein halten. Die Partei, die mit Björn Höcke an der Spitze der am weitesten rechts stehende Landesverband ist, kommt aktuell auf mehr als 20 Prozent. Das mobilisiert wiederum Wähler, ihr Kreuz bei der Linken zu machen. Diese Polarisierung setzt den kleinen Partnern SPD und Grünen zu.
In der Fußgängerzone von Gera trifft man Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, die aus Thüringen stammt. "Es ist ein schwieriger Wahlkampf", sagt sie zum KURIER. Zwar spielt die Klimafrage eine so große Rolle wie nie zuvor, gleichzeitig steht der Ministerpräsidentenposten im Vordergrund.
Hier in Gera hat die AfD viele Anhänger. Der Stadt, die einst zu den zehn reichsten Deutschlands zählte, brachen nach der Wende sämtliche Industriezweige weg. Die Folgen: Abwanderung und Leerstand. Dass die Zeit aber nicht still steht, zeigt sich ein paar Straßen weiter: Bio-Geschäft, Unverpackt-Laden – und ein Verein, der das Problem der Stadt im Namen trägt, aber angehen will: In der "Mangelwirtschaft" kocht Sigrid, 77 Jahre, Kaffee und erzählt von Bürgern, die hier ihre Kunst ausstellen und Studenten, die die Umgestaltung von Plätzen planen. Und plaudert etwas aus ihrem Leben: Nach der Wende ist sie arbeitslos geworden, ist aber wieder neu durchgestartet. Sie fotografiert und engagiert sich für die Wiederbelebung des Zentrums. Andere "nölen nur rum und können nicht sagen, was sie anders machen würden". Ähnlich wie die AfD. Ramelow, findet sie, wäre hingegen einer, "der ist von unten rauf und hier reingewachsen".
Aufgewachsen ist der Mann im westdeutschen Niedersachsen und Rheinhessen. Seit 30 Jahren lebt er in Thüringen. Als Gewerkschafter hat er gegen den Treuhand-Verkauf gekämpft und gelernt, was gut ankommt. Wenn er etwa von Schwester Agnes erzählt, eine Serie über eine Krankenschwester, die auf einem Moped durch Gemeinden fuhr und Menschen versorgte. "So was gibt’s wieder in Thüringen", ruft er in Jena. Nicken und Klatschen bei den Älteren. Das Konzept der Grundrente würde geschiedene und alleinstehende Frauen aus dem Osten benachteiligen, kritisiert er: "Da meckere ich Frau Merkel jedes Mal an."
Seine Zuhörer lachen. "Der lässt sich auch mal zur Weißglut treiben und macht nicht alles mit", sagt einer im Publikum anerkennend. Ja, der Mann kann Dampf ablassen. Wenn er etwa mit Waldbesitzern diskutiert und nach langem Erklären "Der Wald verreckt" in die Kameras schreit. Oder in sozialen Medien, wo er Satiriker Jan Böhmermann disste, weil dieser seine Einladung zum Pilze-Sammeln ignorierte bzw. ihn versetzte. Zuerst kam ein Tweet, wo Böhmermann bleibe, der Tag sei fast vorbei. Am nächsten Tag postete Ramelow ein Spott-Video, wo beide im Wald spazieren und der Moderator lauter Fliegenpilze sammle. Der Ministerpräsident schlägt sich dabei auf den Kopf.
In Fahrt kommt der 63-Jährige auch, wenn ihn politische Gegner kritisieren. Zum Beispiel als er in einem Interview den Begriff "Unrechtsstaat" für die DDR nicht korrekt fand. Da dieser ein juristischer aus der Zeit der Auschwitz-Prozesse sei. Den in sozialen Medien aufziehende Sturm ließ er sich nicht entgehen und twitterte scharf zurück. Zuletzt auch im Wahlkampf, wo er nach der MDR-Wahlarena nicht mehr am Foto zu sehen war. Die Geschichte erzählt er auch seinem Publikum in Jena; Man habe ihm gesagt, er können sich abschminken gehen, niemand erwähnte ein Foto, ärgert er sich. Der politische Gegner hätte ihm danach unterstellt, er wäre entnervt abgezischt.
Gut möglich, dass dieser aber auch nach diesem Wahlsonntag weiter mit Ramelow zu tun haben wird. Selbst wenn es keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün geben sollte, könnte er im Amt bleiben – entweder toleriert von der CDU oder dank einer Besonderheit der Verfassung: Der Ministerpräsident bleibt so lange im Amt, bis ihn eine andere Mehrheit ablöst. Sollte die nicht kommen, kann ihm keiner etwas anhaben. Womit wir wieder bei der Stinkmorchel wären.
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