Theresa May: Die Dickhäuterin

May hofft auf die Abstimmung im britischen Parlament.
Theresa May. Die Premierministerin muss das Land durch das Chaos steuern, das ihr Vorgänger David Cameron leichtsinnig verursacht hat.

Als Theresa May 2016 im Chaos nach dem Brexit-Referendum Premierministerin wurde, drang eine alte Geschichte aus ihren Uni-Zeiten in Oxford an die Öffentlichkeit. May sei „sehr verärgert“ gewesen, behauptete eine alte Studienkollegin, als Margaret Thatcher 1979 als erste Frau das oberste Regierungsamt erlangte: „Thatcher war ihr zuvorgekommen. Dabei wollte sie die Erste sein.“

Die Anekdote sagt einiges über Theresa Mays Motivation, den von zynischeren Gemütern wie Boris Johnson ausgeschlagenen, vergifteten Kelch der Premierministerschaft anzunehmen: Das Erreichen ihres Lebensziels auf alle Kosten.

Verbissenheit

Mit derselben Verbissenheit, in der sie ihre Stehsätze vom „besten Deal für das Land“ wiederholt, klammert May sich seither an ihr Amt. Weder der Verlust ihrer Parlamentsmehrheit nach den vorgezogenen Unterhauswahlen von 2017, noch der darauf folgende Rauswurf persönlicher Berater, die Rücktritte einer Innenministerin, eines Außenministers und zweier Brexit-Minister, ja nicht einmal ein Misstrauensvotum aus den eigenen Reihen ließen sie ihre Position überdenken.

Selbst die unumstößliche Thatcher trat 1990 zurück, nachdem sie in der ersten Runde im Londoner Unterhaus nur knapp gegen ihren parteiinternen Herausforderer Michael Heseltine gewonnen hatte. May dagegen scheint von solchen Konventionen des Anstands und der Würde vollkommen unberührt.

Diese erstaunliche Dickhäutigkeit mag bisher ihre Karriere verlängert haben, droht sie aber nun in der kritischen Phase des Brexit-Prozesses – mitsamt ihrem Land – in den Abgrund zu führen. Mit ihrer vorweihnachtlichen Entscheidung, das groß angekündigte Votum über ihr mit der EU ausgehandeltes Austrittsabkommen in letzter Sekunde zu vertagen, brüskierte sie das gesamte Unterhaus – gerade jetzt, wo sie Verbündete dringender braucht denn je.

Kein Wunder, dass die besonneneren Geister aller Fraktionen ihr Übereinkommen nun ohne Involvierung der Premierministerin suchen. May wird gern als Pragmatikerin dargestellt, doch in ihren Jahren als David Camerons Innenministerin drang sie mit ihrem Programm einer „feindseligen Umgebung“ für mutmaßlich illegale Einwanderer, sowie ihrem Festhalten an unhaltbar niedrigen Einwanderungsquoten weit in populistisches Territorium vor. Ein Instinkt, der neulich wieder zum Vorschein kam, als sie eingewanderte EU-Bürger in einer Rede des „Vordrängelns“ bezichtigte.

Ihre Verteidiger sehen in ihr die stabile Kraft, die einerseits den Flohhaufen der Brexit-Hardliner im Zaum hält, und andererseits den Willen des Volkes vor einem zur Sabotage des Brexit entschlossenen Establishment behütet.

In Wahrheit waren es jedoch die in ihrer berühmten Rede von Lancaster House vor zwei Jahren formulierten „roten Linien“ eines Austritts aus Binnenmarkt, Zollunion und der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs, die sie in ihre heutige Zwickmühle brachten. Jene großspurigen Erklärungen ernteten der ehemaligen Remainerin vorübergehend den Applaus des Europa-feindlichen Boulevards, verursachten aber auch das unlösbare Problem der irisch-nordirischen Zollgrenze.

Fataler Irrtum

Daraus wiederum folgte jener so heftig umstrittene „Backstop“ des Austrittsabkommens, der Britannien über die bis 2021 terminisierte Übergangsphase hinaus an die europäische Zollunion bindet. Mit Strategie lässt sich so ein Eigentor kaum erklären. Tatsächlich stand May 2016 die historische Chance offen, das Unterhaus über Fraktionsgrenzen hinweg auf einen rationalen Kurs der Schadensbegrenzung zu einigen und erst dann den Artikel 50-Prozess in Gang zu setzen.

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May bei ihrem verunglückten Tänzchen beim Parteitag der Tories

Eine Mehrheit der Abgeordneten wäre bereit gewesen, sich auf eine Version des „Brino“ („Brexit in name only“), also einen formalen EU-Austritt bei Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion zu einigen. Stattdessen warf die Premierministerin ihren eigenen EU-Botschafter raus und biederte sich genau jenen Hardlinern an, die nun allen Warnungen zum Trotz lauthals „No Deal“ verlangen.

Aber hatte Theresa May nicht selbst immer getönt, gar kein Deal sei besser als ein schlechter? In der vergangenen Woche lud sie noch einmal Freund und Feind aus ihrem konservativ-unionistischen Bündnis auf Drinks in die Downing Street. Sie fand sogar die Größe, der bisher links liegen gelassenen Labour-Opposition eine Beibehaltung europäischer Standards im Arbeitsrecht zu versprechen. Doch selbst wenn Theresa May es gänzlich unerwartet schaffen sollte, das Unterhaus vor dem Votum am Dienstag doch noch auf ihre Seite zu ziehen: Die Grube, aus der sie nun klettern muss, hat sie sich ganz allein gegraben.

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