Terror und Massenflucht: Europas Ohnmacht in der Sahelzone
150 Kilogramm Sprengstoff sollen es gewesen sein, die der Attentäter im Nachtlager der Bundeswehrsoldaten gezündet hat. Mit einem Fahrzeug habe er den äußeren Ring der „Wagenburg“ durchbrochen, 20 Meter vor einem Tanklaster seine tödliche Fracht entzündet. Zwölf deutsche Blauhelm-Soldaten wurden verletzt, drei von ihnen schwer. Viel mehr ist auch nach zehn Tagen nicht bekannt – zu unübersichtlich ist die Lage in Mali.
Keine Stabilität
War es der „Islamische Staat in der Groß-Sahara“, war es die „El Kaida im Maghreb“? Der Bundesnachrichtendienst tendiert zu Letzterem, große Auswirkungen wird eine Aufklärung jedoch nicht haben. Denn Europa steckt in der Sahelzone in einer tiefen Krise. Ungefähr 15.000 Soldaten sind für die UN-Mission MINUSMA im Einsatz, sollen im Norden Malis für Stabilität sorgen. Mit wenig Erfolg: Mehr als 220 Soldaten wurden seit Bestehen der Mission im Jahr 2013 getötet, Kontrolle üben die Blauhelme in Nordmali bis auf ein paar Städte keine aus.
Keine Kontrolle
Immer wieder kommt es zu heftigen Massakern an der Zivilbevölkerung. Durch Terroristen wie auch malische Regierungstruppen. Seit 2012, als Tuareg-Rebellen und islamistische Terrorgruppen den Aufstand probten, hat die Regierung keine effektive Kontrolle über den gesamten Staat. Der Norden des Landes, das eine Breite von Wien bis Ankara hat und mehr als dreimal so groß wie Deutschland ist, gilt als Failed State. Dort haben Nomaden das Sagen, Schmuggler, denen die heutigen Grenzen egal sind.
Seit Jahrhunderten betreiben sie ihre Routen, haben Gold, Elfenbein, Drogen und Waffen über Grenzen gebracht, die sie nicht anerkennen. Sie waren vor den Grenzen da. Bereits kurz nach der Unabhängigkeit Malis im Jahr 1960 war klar, dass sich die vielen Völker nicht in diesem gemeinsamen Staat integrieren lassen. Sesshafte Völker sollten als Regierung das Erbe Frankreichs antreten, Nomadenvölker wie die Tuareg profitierten de facto gar nicht von dem neuen Staat.
Seit einigen Jahren ist der Schmuggel von Migranten Richtung Europa immer lukrativer für sie, aber auch der Kokainschmuggel hat stark zugenommen. Mit der Ausbreitung der Terrorgruppen El Kaida und „Islamischer Staat“, deren Ideologien vor allem bei den Nomadenvölkern auf fruchtbaren Boden fallen, hat sich die Lage in der Sahelzone drastisch verschärft.
Vor allem Frankreich – das viel Engagement in der Region zeigt – hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Wurde Ex-Präsident Francois Hollande nach der Befreiung Timbuktus im Februar 2013 von der Bevölkerung als „Papa Hollande“ gefeiert, mehren sich die Demonstrationen gegen die „Besatzungsmacht Frankreich“.
Rasantes Wachstum
Zwei Militärputsche innerhalb kurzer Zeit machen es für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusätzlich schwierig, einen „verlässlichen“ Partner zu finden. Aus diesem Grund hatte er für einen Monat die militärische Zusammenarbeit mit Mali ausgesetzt, die französische Operation „Barkhane“ gestoppt. In der Nacht auf Samstag nahm er die Zusammenarbeit wieder auf, will aber das französische Engagement „tiefgreifend umgestalten“, die Zahl der eingesetzten Soldaten deutlich verringern.
Bis zu 5.100 Mann sind auf derzeit einem Gebiet stationiert, das so breit ist wie die Strecke von Lissabon bis Moskau. Der Einsatz (siehe Grafik) umfasst nicht nur Mali, sondern auch Burkina Faso, den Tschad, Mauretanien und Niger. Ziel der Operation: Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, der jedoch immer stärker wird. Im Jahr 2020 starben mindestens 7.000 Menschen infolge terroristischer Anschläge, heuer dürften es mehr werden. Mehr als 1,5 Millionen Menschen in der Region sind innerhalb der Grenzen auf der Flucht, die Wüste auf dem Vormarsch. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung rasant. Lebten in Mali Anfang des Jahrtausends noch zehn Millionen Menschen, sind es heute 20 Millionen.
Wie Macron die Militärmissionen zu einem Erfolg machen will, ist angesichts der Lage unklar. Deutschland, das mit bis zu 1.700 Soldaten in der Region vertreten ist, diskutiert derzeit über eine angemessene Ausrüstung für den Einsatz. In puncto strategischer Ausrichtung spricht Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von „realistischen Zielen“.
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