Syrien-Konflikt droht USA und Russland zu spalten

epa03741886 US President Barack Obama during a campaign rally for Democratic candidate for the Us Senate Ed Markey, in Boston, Massachusetts, USA, 12 June 2013. US Congressman Markey is running against Gabriel Gomez in the Massachusetts Special Election for the former seat held by Secretary of State John Kerry. EPA/CJ GUNTHER
Obamas "rote Linie" ist überschritten: Washington bestätigt den Einsatz von Giftgas und unterstützt syrische Rebellen. Die NATO drängt auf politische Schritte, Russland ist empört.

Die von US-Präsident Barack Obama definierte "rote Linie" ist überschritten. Die Regierung in Washington ist sich sicher, dass die Truppen von Syriens Staatschef Bashar al-Assad im Bürgerkrieg gegen die Rebellen mehrmals Chemiewaffen eingesetzt haben. Syrien weist dies zurück, Russland nennt die Angaben "wenig überzeugend", aber Zweifel an den Vorwürfen schwinden zusehends. Keine Zweifel haben Experten bereits seit langem daran, dass Assad über ein beachtliches Chemiewaffenarsenal verfügt.

Der US-Militärgeheimdienst DIA bestätigte wiederholt, das syrische Chemiewaffenprogramm umfasse umfangreiche Bestände an Nervengift, die auch mit Flugzeugen oder Raketen eingesetzt werden könnten. Laut dem französischen Chemiewaffenexperten Olivier Lepick ist das syrische Programm zudem hoch entwickelt. Syrien sei neben der Produktion von Sarin auch die Herstellung von Senfgas und des Nervengases VX gelungen.

Zur Abschreckung Israels

Syrien-Konflikt droht USA und Russland zu spalten
Syriens Chemiewaffenprogramm soll in den 1970-er Jahren mit Hilfe der Sowjetunion und Ägyptens angestoßen worden sein, um Israel abzuschrecken. Ab dem Jahr 1991 soll Russland die Kooperation fortgesetzt haben. Laut einem Bericht der US-Experteninstitution CSIS erhielt Syrien ab dem Jahr 2005 auch vom Iran Unterstützung bei der Entwicklung von Chemiewaffen. Experten zufolge verfügt das Land inzwischen über "hunderte Tonnen" Chemiewaffen.

Am Donnerstag hatte das Weiße Haus erstmals bestätigt, dass im Syrien-Konflikt Chemiewaffen zum Einsatz gekommen sind. Die Folge daraus, wie von Präsident Barack Obama im Vorjahr angekündigt: Die USA mischen sich nun in den Konflikt ein. Das Weiße Haus kündigte am Donnerstag "militärische Unterstützung" der Rebellen an. Obama soll bereits Waffenlieferungen für die Aufständischen autorisiert haben.

100 bis 150 Tote durch Giftgas

Nach Erkenntnissen der US-Geheimdienste habe Syriens Staatsführung im Laufe des vergangenen Jahres "in geringem Umfang" mehrfach Chemiewaffen eingesetzt, erklärte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Ben Rhodes. Bei diesen Angriffen seien "100 bis 150 Menschen" getötet worden - unter anderem sei das Nervengas Sarin zum Einsatz gekommen.

"Der Präsident hat gesagt, dass der Einsatz von Chemiewaffen sein Kalkül ändern würde, und das ist passiert", sagte Rhodes. Der Präsident werde "in den kommenden Wochen" mit dem Kongress über das weitere Vorgehen beraten.
"Den Vereinigten Staaten und der internationalen Gemeinschaft stehen eine Reihe von rechtlichen, finanziellen, diplomatischen und militärischen Antworten zur Verfügung", erklärte Rhodes.

NATO drängt auf politische Schritte

Am Einsatz von Chemiewaffen hegten andere Nationen schon seit geraumer Zeit keinen Zweifel mehr; gewartet wurde nur auf ein "Machtwort" des US-Präsidenten. Vor eineinhalb Wochen hatte bereits die französische Regierung erklärt, den Einsatz von Saringas im syrischen Bürgerkrieg klar nachgewiesen zu haben; auch die UNO hatte dies bestätigt.

Auch die NATO hat sich in diesem Punkt nun zu Wort gemeldet: Man fordert die UNO zur eingehenden Untersuchung der Chemiewaffeneinsätze in Syrien auf. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen meinte, die syrische Regierung in Damaskus müsse eine Prüfung der Berichte durch die UNO zulassen. Er begrüße den klaren Bericht der USA, sei aber dennoch nach wie vor überzeugt, dass nur eine politische Lösung des Syrien-Konflikts möglich sei.

GB und Deutschland hinter USA

Der britische Außenminister William Hague stellte sich ebenfalls hinter die USA. Die Situation in Syrien erfordere eine "starke, entschlossene und koordinierte Antwort der internationalen Gemeinschaft". Ob die britische Regierung eine militärische Unterstützung der Rebellen plane, ist nach Angaben von Premierminister David Cameron noch nicht entschieden.

Syrien-Konflikt droht USA und Russland zu spalten
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (Bild) forderte eine rasche Sitzung des UNO-Sicherheitsrates. "Ich hoffe, dass man im UN-Sicherheitsrat zu einer gemeinsamen Haltung kommen kann", sagte Merkel. Aus ihrer Sicht sei es zudem gut, weiter auf eine internationale Syrien-Konferenz hinzuarbeiten. Die Kanzlerin unterstrich, Deutschland verurteile das Vorgehen Assads. "Aber Deutschland wird wegen seiner Regeln keine Waffen liefern", sagte sie. Die Bundesregierung werde sich gleichwohl eng mit den Verbündeten abstimmen.

Noch am Freitagabend wollen Obama, Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande eine Videokonferenz zum Thema Syrien abhalten.

Wackelige Flugverbotszone

Die syrische Opposition hat sich über diesen Schritt erfreut gezeigt: Der Generalstabschef der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee (FSA), General Salim Idriss, äußerte gegenüber dem Nachrichtensender Al-Arabija die Hoffnung, dass es nicht bei Plänen bleibe, sondern dass sie so schnell wie möglich auch umgesetzt würden. Der Interimsvorsitzende der Oppositionsplattform Nationale Koalition, George Sabra, sprach von einem "positiven Schritt". Er hoffe aber, dass es nicht zu Verzögerungen komme, die es dem Regime von Bashar al-Assad ermöglichten, weiterzutöten, sagte er dem Sender.

Über eine Flugverbotszone für Syrien haben die USA noch keine Entscheidung gefällt. Generell blieb er in seinen Aussagen unkonkret - laut der New York Times und der Washington Post will Obama ausgewählte Gruppen erstmals mit kleineren Waffen und Munition versorgen; die Angst, die Waffenlieferungen könnten an Islamisten weitergegeben werden könnten, sei groß. "Wir werden sehr überlegt handeln", betonte Rhodes.

Russland bezichtigt USA der Lüge

Wenig überraschend wies die Regierung in Damaskus alle Vorwürfe als "Lügen" zurück. Den US-Angaben lägen "erfundene Informationen" zugrunde. Zuvor hatte bereits die russische Regierung die US-Vorwürfe angezweifelt. Die Berichte seien "an derselben Stelle fabriziert" worden wie die "Lüge" über Massenvernichtungswaffen des irakischen Ex-Diktators Saddam Hussein, schrieb Alexej Puschkow, Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma in Moskau, am Freitag bei Twitter. US-Präsident Barack "Obama schlägt denselben Weg ein wie (sein Vorgänger) George Bush", schrieb Puschkow.

Auch der außenpolitische Berater von Präsident Wladimir Putin, Jurij Uschakow, zweifelt die Vorwürfe an. "Was von den Amerikanern präsentiert wurde, erscheint uns nicht überzeugend", sagte er. Zugleich verurteilte er geplante Waffenlieferungen der USA an die syrischen Rebellen. Dies werde "die Vorbereitung der internationalen Konferenz nicht leichter machen", sagte Uschakow mit Blick auf von den USA und Russland gemeinsam angestrebte Friedensgespräche.

Diese Worte kommen nicht unerwartet - die UNO-Vetomacht Russland ist bekanntlich ein Partner Assads und beliefert diesen auch mit Waffen; die USA streben hingegen Assads Sturz an.

Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger blieb am Freitag dabei: Ein gezieltes Aufrüsten der Oppositionskräfte bzw. Waffenlieferungen nach Syrien sind für ihn der falsche Schritt, um in der Region wieder Frieden herzustellen.

Syrien-Konflikt droht USA und Russland zu spalten
„In Syrien sollten nicht die Waffen, sondern die Diplomaten und Politiker sprechen. Wir brauchen vor Ort definitiv nicht mehr Waffen, diese werden die Gewalt nicht verringern“, sagte Spindelegger.

US-Berichte über einen möglichen Giftgas-Einsatz der Regierungstruppen ändern für den Ressortchef an der österreichischen Linie – vorerst – wenig. Selbstverständlich müsse man derartige Berichte sehr ernst nehmen und genau prüfen. Gleichwohl warnte Spindelegger vor unüberlegten Aktionen. „Meldungen über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen müssen sehr genau geprüft werden, um vor vorschnellen Schlüssen und Aktionen gefeit zu sein. “ Das habe nicht zuletzt das Beispiel Irak gezeigt.

Das blutige Gemetzel in Syrien, die bedrohliche Rezession in der Eurozone und die Gefahr eines Handelskrieges zwischen der EU und China: Vor dem Hintergrund einer angespannten weltpolitischen Lage treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G-8-Staaten in der kommenden Woche (17./18. Juni) im nordirischen Lough Erne. Der Gipfel um US-Präsident Barack Obama, Russlands Staatschef Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel soll Lösungen für globale Fragestellungen aufzeichnen.

Doch bei etlichen Themen gibt es wenig Hoffnung auf einen Konsens. Zu unterschiedlich sind die Positionen der westlichen Industrienationen und Russlands (G-8). Lediglich beim Thema Handel könnte es etwas zu feiern geben. Zur G-8 gehören die USA, Kanada, Japan, Russland, Deutschland, Frankreich, Italien sowie der diesjährige Gastgeber Großbritannien. Auch die Europäische Union sitzt am Konferenztisch.

Besonders deutlich sind die Differenzen in der Außenpolitik. Zwar fordern alle G-8-Mitglieder seit Monaten ein "sofortiges Ende der Gewalt" in Syrien - wie das erreicht werden soll, bleibt umstritten. Während Russland am Regime von Bashar al-Assad festhält und weiter militärische Unterstützung stellt, sieht der Westen einen Abgang Assads als Voraussetzung für den Beginn von Friedensverhandlungen. Noch immer gibt es keinen konkreten Termin für die von Moskau und Washington geplante Syrien-Konferenz.

Mohammad Kattaa kannte fast jeder im Viertel Sha’ar in Aleppo. Kaffee verkaufte er auf der Straße, an einem kleinen Stand an einer Kreuzung in dem von Rebellen kontrollierten Viertel. Und genau dort wurde der 15-Jährige vergangenen Sonntag exekutiert. Ein Schuss ins Genick, einer in den Hinterkopf. All das vor den Augen seiner Familie und der versammelten Nachbarschaft – wegen Blasphemie. Er hatte zu einem Kunden gesagt, dass er ihm selbst dann keinen Kaffee schenken würde, sollte Prophet Mohammed höchst persönlich herabsteigen.

Es ist ein Fall, der die syrische Öffentlichkeit vor allem in von Rebellen gehaltenen Gebieten aufrüttelt. Zwar sind Exekutionen basierend auf religiösen Urteilen auf offener Straße keine Seltenheit mehr, aber diesmal hat es dokumentierter maßen ein Kind getroffen. Und noch dazu einen Burschen, der von Anfang an bei Demos der Opposition dabei gewesen war.

Jene Männer aber, die Mohammad Kattaa mitnahmen vergangenen Samstag, hatten anscheinend weniger die syrische Sache im Sinn. Laut Augenzeugen sprachen sie Arabisch ohne syrischen Akzent, so die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR). Als die Kämpfer am nächsten Tag mit dem Buben wieder kamen, um ihm auf offener Straße das T-Shirt über das Gesicht zu ziehen und ihm zwei Kugeln durch den Leib zu jagen, hatte er schwere Blessuren und Striemen.

Von welcher Einheit die Täter waren, ist unbekannt. Und angesichts des Echos, das der Fall ausgelöst hat, waren alle möglichen Gruppen auch aus dem islamistischen Spektrum, schnell bemüht, jede Schuld von sich zu weisen. Vor allem aber für gemäßigte und säkulare Aktivisten ist Mohammad Kattaa zum Symbol einer Revolution geworden, die eben genau ihnen endgültig zu entgleiten droht. SOHR etwa merkt an, dass das regionale Revolutions-nahe Sharia-Gericht nichts getan habe, um den Mord an dem Buben stoppen.

Vor allem in Aleppo haben Islamisten großen Einfluss. Zuletzt war es in einem von der Freien Syrischen Armee FSA, dem offiziellen bewaffneten Arm der Opposition, gehaltenen Bezirk zum Konflikt mit der El-Kaida-nahen Al-Nusra gekommen. Deren Kämpfer hatten unter Protest der Anwohner eine FSA-Fahne abmontiert, um ihr schwarzes Banner zu hissen.

Das Nervengas Sarin gehört zu den gefürchtetsten Kampfstoffen: Sarin ist farblos, geruchlos, geschmacklos - und führt bereits in einer Dosis von nur einem halben Milligramm zum Tod. Das in der Chemie Methylfluorphosphonsäureisopropylester genannte Gift kann über Haut und Atemwege in den Körper gelangen. Gegenmittel wirken nur bei sofortiger Verabreichung.

Sarin wurde 1938 von deutschen Chemikern entdeckt. Die irakische Luftwaffe warf im März 1988 Sarin-Bomben auf das von kurdischen Kämpfern kontrollierte Dorf Halabja ab und tötete etwa 5000 Menschen. Die Aum-Sekte setzte das Gift bei dem Anschlag auf die U-Bahn von Tokio 1995 ein, bei dem 13 Menschen getötet und mehr als 6000 verletzt wurden.

Die französische Regierung hat am Dienstag in Paris erklärt, sie habe Beweise, dass Sarin im syrischen Bürgerkrieg zum Einsatz gekommen ist. Außenminister Laurent Fabius machte aber keine Angaben, ob Regierungstruppen oder Rebellen die tödliche Substanz eingesetzt hätten. Zuvor hatten bereits UN-Ermittler berichtet, in Syrien seien wahrscheinlich mindestens vier Mal chemische Waffen eingesetzt worden. Der Verdacht richtete sich vor allem gegen Regierungstruppen.

Die Zahl der Flüchtlinge und Todesopfer in dem seit mehr als zwei Jahren währenden Konflikt in Syrien steigt schnell. Konkrete Angaben sind allerdings wegen der verworrenen und unsicheren Lage schwierig, die Schätzungen der Organisationen gehen auseinander.

Todesopfer: Die Vereinten Nationen (UN) teilten Mitte Mai mit, dass ihren Schätzungen zufolge mindestens 80.000 Menschen in dem Konflikt umgekommen sind. Im Februar waren es nach UN-Angaben noch rund 70.000.

Dagegen geht die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte von mindestens 94.000 Todesopfern aus. Tatsächlich seien vermutlich bis zu 120.000 Menschen in dem Bürgerkrieg getötet worden, teilte die der Opposition nahestehende und in London ansässige Organisation vor wenigen Tagen mit.

Anfang Mai hatte die Oppositionsgruppe Märtyrer der Revolution die Zahl der Toten mit fast 66.000 angegeben.

Flüchtlinge: Nach jüngsten Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR sind mehr als 1,5 Millionen Syrer aus ihrer Heimat geflohen. Dies umfasst sowohl Menschen, die sich bei den UN bereits als Flüchtlinge registriert haben, als auch solche, die noch auf eine Registrierung warten. Die Zahl aller Flüchtlinge ist vermutlich deutlich höher. Auf die Nachbarländer verteilen sich die Flüchtlinge laut UNHCR wie folgt:

  • Jordanien: mehr als 473.000
  • Libanon: rund 470.000
  • Türkei: rund 347.000
  • Irak: mehr als 147.000
  • Ägypten: knapp 67.000


Notleidende innerhalb Syriens: Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Mai rund 4,25 Millionen der in Syrien lebenden mehr als 20 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen waren. Von ihnen hätten rund 1,5 Millionen Menschen keine ausreichenden Lebensmittel zur Verfügung. Nach UN-Angaben sind 6,8 Millionen Menschen im Land in Not.

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