Putin deutet Zustimmung für Intervention an

Sollte sich die Schuld des Regimes beweisen lassen, würde Russland einem Eingreifen zustimmen. Am Mittwoch wird im US-Senat abgestimmt.

Russland könnte nach den Worten von Präsident Wladimir Putin nun doch einem militärischen Eingreifen in Syrien unter Einbeziehung des UNO-Sicherheitsrates zustimmen. Voraussetzung seien Beweise dafür, dass die syrische Regierung hinter den Giftgasangriffen stehe, sagte Putin in einem Interview mit dem TV-Sender Erster Kanal, aus dem die Agentur Interfax am Mittwoch zitierte. Putin forderte die USA mit Nachdruck auf, Beweise vom Weltsicherheitsrat prüfen zu lassen.

Die UNO-Vetomacht sehe die Führung unter Präsident Bashar al-Assad als legitime Regierung in Damaskus an. Auf der Grundlage alter Verträge versorge Russland Syrien weiter mit Waffen, aber das moderne Raketenabwehrsystem S-300 sei noch nicht geliefert worden. Syriens Verbündeter Russland hat bereits mehrmals Resolutionen im UNO-Sicherheitsrat zur Verurteilung der Gewalt in Syrien verhindert. Russland geht davon aus, dass Rebellen hinter den Giftgasangriffen stecken, nicht die Regierung.

G-20-Gipfel

Überhaupt werden die diplomatischen Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts in den kommenden Tagen einen neuen Höhepunkt erreichen. Ab Donnerstag kommen die Staatenlenker der großen Industrie- und Schwellenländer zum G-20-Gipfel in die russische Hafenstadt St. Petersburg - darunter alle Vetomächte des UN-Sicherheitsrats. Sie werden um eine gemeinsame Haltung zu den Angriffen mit Chemiewaffen ringen, für die Washington und Paris Assad verantwortlich machen.

Entwurf für Einsatz steht

Der außenpolitische Ausschuss des US-Senats hat sich indes am Dienstagabend auf einen Entwurf zu einer Syrien-Intervention geeinigt - der Text setzt US-Präsident Barack Obama jedoch enge Grenzen. Höchstens 60 Tage mit einer einmaligen Verlängerungsoption um weiter 30 Tage dürfte der Einsatz dauern, Bodentruppen müssten ausgeschlossen werden.

Am Mittwoch will der Senatsausschuss über den Entwurf abstimmen. Sollte er angenommen werden, wird frühestens am 9. September, wenn die Abgeordneten aus der Sommerpause zurückkehren, die gesamte Parlamentskammer entscheiden. Auch ein Votum im Repräsentantenhaus kann frühestens am kommenden Montag erfolgen.

Obama in Stockholm

Kurz vor dem G-20-Gipfel ist Obama selbst am Mittwoch zu einem zweitägigen Besuch in Schweden eingetroffen. Obama landete auf dem Flughafen Arlanda in Stockholm. Bei den Treffen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt und anderen nordischen Staats- und Regierungschefs wird die Lage in Syrien im Zentrum stehen. Von den Partnern aus dem Norden könnte Obama zumindest symbolische Rückendeckung für einen begrenzten Militärschlag erbitten.

Kerry wirbt für Einsatz

US-Außenminister John Kerry hatte im Senat zuvor mit Unterstützung von US-Generalstabschef Martin Dempsey und US-Verteidigungsminister Chuck Hagel für den Militäreinsatz geworben. Sollte der Kongress nicht zustimmen, wäre dies "grässlich", so der Außenminister. Sollte der Kongress eine militärische Bestrafung des syrischen Regimes nicht mittragen, könnten der Iran und Nordkorea an der Entschlossenheit Washingtons zweifeln, die Atomprogramme der beiden Länder zu stoppen. Auch die Hisbollah-Miliz im Libanon hoffe, "dass der Isolationismus siegt", so Kerry.

Obama ringt um Zustimmung

Obama ringt also weiter mit allen Mitteln um die Zustimmung der Parlamentsabgeordneten. Zwar stellte sich am Dienstag der Sprecher des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses hinter die Interventionspläne, viele Abgeordnete - auch von Obamas eigener Partei - sind jedoch weiterhin skeptisch.

Auch in Frankreich - dem gegenwärtig wichtigsten Syrien-Verbündeten der USA - will das Parlament am Mittwoch über einen Militäreinsatz im Bürgerkriegsland beraten. Obwohl die Opposition dies zuletzt vehement forderte, soll allerdings keine Abstimmung erfolgen. Zu einem späteren Zeitpunkt sei dies jedoch "kein Tabu", gab sich der sozialistische Minister für Beziehungen zum Parlament, Alain Vidalies, am Dienstag gesprächsbereit. Der französische Präsident kann laut Verfassung alleine über einen Militäreinsatz entscheiden, muss das Parlament jedoch nachträglich informieren. Eine große Mehrheit der Franzosen fordert allerdings eine Abstimmung des Parlaments über einen möglichen Militäreinsatz in Syrien. In einer am Dienstagabend veröffentlichten Umfrage für den Sender BFMTV sprachen sich 74 Prozent der Befragten für ein solches Votum aus.

Sollte sich der US-Kongress gegen einen Syrien-Intervention entscheiden, sind wohl aber auch die französischen Eingriffspläne Geschichte: "Sollte die Entscheidung nicht positiv ausfallen, werden wir nicht alleine handeln", sagte Präsident Francois Hollande am Dienstag.

UNO gegen Intervention ohne Mandat

Klar gegen eine Intervention ohne UNO-Mandat sprach sich erneut UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon aus, diese könnte eine weitere Eskalation des Konfliktes herbeiführen, warnte er in New York. Sollte sich jedoch herausstellen, dass Chemiewaffen eingesetzt worden seien, müsse der Sicherheitsrat mit einer Stimme sprechen. "Die Mitglieder haben dann die Pflicht, ihre Blockade zu überwinden." Die Ergebnisse einer entsprechenden Untersuchung durch UNO-Chemiewaffenexperten sollen Mitte September vorliegen.

Das Camp Saatari, mitten in der jordanischen Wüste, zwölf Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Von einem Flüchtlingslager kann man eigentlich gar nicht mehr sprechen, es handelt sich um einen riesigen, staubigen Moloch. Ausgelegt für 30.000 Flüchtlinge, drängen sich in dem Notquartier aktuell 130.000 Syrer. Täglich kommen 2000 neue hinzu. Und täglich werden 13 Kinder an diesem Ort der Trostlosigkeit geboren. Saatari ist schon die viertgrößte „Stadt“ in Jordanien. Die UNO verteilt pro Tag 500.000 Stück Brot und 4,2 Millionen Liter Wasser. Die Kosten für die Flüchtlingshilfe allein hier: Eine halbe Million Dollar – täglich.

Dennoch sind die Zustände katastrophal. Gewalt, sexuelle Übergriffe und Zwangsverheiratungen stehen auf der Tagesordnung. Rivalisierende Gruppen prallen immer wieder aufeinander. Die Lager-Mafia presst die letzten Dollar aus den in Saatari Gestrandeten heraus: Um einen Stand auf dem Marktplatz zu eröffnen, muss man an die 1000 Dollar zahlen.

Putin deutet Zustimmung für Intervention an
Es handle sich um „eine beschämende humanitäre Katastrophe in einem in der jüngeren Geschichte beispiellosen Ausmaß“, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres, der am Dienstag die neusten Zahlen veröffentlichte. Demnach hat der Flüchtlingstreck jetzt die Zwei-Millionen-Marke überschritten (siehe Grafik), eine Million davon sind Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren. Die Dunkelziffer liegt aber noch viel höher, da sich etwa in der Türkei oder im Libanon viele gar nicht registriert haben, weil sie bei Verwandten Unterschlupf gefunden haben oder über ausreichend Barmittel verfügen.

Libanon trägt Hauptlast

„Der einzige Trost ist die Menschlichkeit, die benachbarte Länder aufbringen“, fügte Guterres an, der einen dringenden Appell an die internationale Staatengemeinschaft richtete, den Geldhahn weiter zu öffnen. Hintergrund: 97 Prozent der zwei Millionen Vertriebenen fanden in der Region Zuflucht, die mit dem Ansturm überfordert ist. Sogar das krisengebeutelte Ägypten nahm 110.000 Syrer auf.

Gemessen an der Einwohnerzahl trägt aber der Libanon die größte Last. Laut UNO sind dort 716.000 syrische Flüchtlinge registriert – das ist ein Sechstel der Gesamtbevölkerung des Zedernstaates. Umgelegt auf Österreich bedeutet das, dass die Alpenrepublik fast 1,4 Millionen Flüchtlinge zu verkraften hätte.

Vor diesem Hintergrund warnte die US-Schauspielerin Angelina Jolie, die als Sonderbotschafterin die Arbeit des UN-Flüchtlingshochkommissariats unterstützt, davor, dass „einige Nachbarländer an den Rand des Zusammenbruchs geraten“ könnten.

Rechnet man die ins Ausland Geflohenen und die 4,25 Millionen syrischen Binnen-Flüchtlinge zusammen, ergibt das einen dramatischen Befund: Durch die Kriegswirren ist fast schon jeder dritte Syrer (Gesamtbevölkerung: 20 Millionen) auf der Flucht.

Und immer mehr drängen nach Europa (siehe auch rechts). Erst am Montag wurde ein Schiff mit syrischen Flüchtlingen vor der Küste Italiens abgefangen. Eine Frau überlebte die Überfahrt nicht. Allein heuer sind 3000 Syrer nach Italien gekommen.

Satellitenbilder des Flüchtlingslagers Saatari

Selten noch war in Frankreich die Bevölkerung derartig skeptisch und unmotiviert gegenüber einem möglichen Militäreinsatz wie zurzeit in Bezug auf die von Francois Hollande angestrebte Teilnahme an einer Strafaktion gegen das syrische Regime. Der sozialistische Staatschef hatte sich unmittelbar nach dem jüngsten Giftgaseinsatz in Syrien als entschlossenster Verbündeter der USA und sogar Vorreiter für eine Operation profiliert. Kritiker sahen darin einen eher leichtfertigen Versuch, an den Erfolg der französischen Blitzkampagne gegen die Dschihadisten-Verbände in Mali am Anfang des Jahres anzuknüpfen. Und damit auch wieder Einfluss für das noch immer wirtschaftlich schwächelnde Frankreich einzustreichen und seine eigene, angeschlagene Autorität aufzurichten.

Alleingang ausgeschlossen

Jetzt, nach Ausscheiden Großbritanniens und noch mehr seit US-Präsident Obama, die Entscheidung auf das Votum des Kongresses abgeschoben hat, wirkt Hollande isoliert und hilflos. Ein militärischer Alleingang Frankreichs wird auch im Kreis um den Präsidenten ausgeschlossen. Hollande baumelt also vorerst an der amerikanischen Entscheidung, was in keinem westeuropäischen Land, und schon gar nicht in Frankreich, als besonders prestigeträchtig erscheint.

Gleichzeitig hat der syrische Präsident Assad in einem Interview im Pariser Blatt Figaro, in seiner üblichen, unterschwelligen Art gedroht, es werde „Auswirkungen, wohl gemerkt negative, auf Frankreichs Interessen“ geben. Was das bedeutet, weiß die französische Öffentlichkeit nur zu gut: 1983 waren bei einem Anschlag durch Verbündete Syriens im Libanon gegen Stützpunkte multinationaler Truppen 58 französische Soldaten getötet worden. Zurzeit stehen 900 französische UN-Soldaten im Südlibanon in Reichweite der Damaskus-treuen Hisbollah-Miliz.

Mehrheit gegen Militäraktion

Schon zuvor hatten sich bei einer Umfrage 64 Prozent der Franzosen gegen eine Militäraktion ausgesprochen. Bekräftigt wird diese Stimmung durch die Haltung der Politiker: sieht man einmal von der Regierungsspitze ab, hat man den Eindruck, dass auch die Befürworter einer Militäraktion, quer durch die moderaten Großparteien, im Grunde genommen unsicher sind und ähnlich wie Obama die Entscheidung auf eine Parlamentsvotum abschieben wollen.

Dieses ist zwar laut Verfassung und Usus bei einem Kriegsentscheid des Staatschefs in Frankreich nicht vorgeschrieben, wird aber jetzt in Regierungskreisen auch nicht mehr ausgeschlossen. Präsident Hollande sieht sich freilich am längeren Ast, weil er davon ausgeht, dass der Westen letzten Endes um einen Einsatz in Syrien nicht umhin kommen wird. Wobei er sich bereits auf einen bedeutenden Kern der SP-Wähler, und darunter viele französische – sunnitische – Muslime, stützen kann, die die Tatenlosigkeit angesichts der Massaker in Syrien nur schwer verkraften.

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