Syriens Parlamentswahl: Eine Wahl ohne Wähler

FILE PHOTO: A man walks through the destruction in the city of Aleppo
Eine auserwählte Elite wählt im einstigen Bürgerkriegsland ein neues Parlament. Die Diaspora in Österreich blickt deswegen mit Sorge auf ihr Heimatland.

Die Aufregung bei vielen Medien war größer als bei den Syrern selbst: "Syriens erste Wahl nach Assad", wurde getitelt, während sich bei der syrischen Diaspora und bei vielen Syrern im Land das Interesse in Grenzen hielt.

Die syrische Diaspora ist alles andere als homogen. Ihre Zerrissenheit zeigt sich auch auf den Straßen in jenen Ländern, in die Hunderttausende in den vergangenen Jahren geflohen sind: Im Juli endete eine Kundgebung für die Selbstbestimmung der Drusen und Kurden in einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit Anhängern der islamistischen Miliz HTS des Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa. Viele Vereine in Österreich verzichteten zuletzt auf Demos.

Viele Syrer wollen in Gesprächen anonym bleiben, verfolgen mit Skepsis und Sorge die Geschehnisse. Eine Syrerin erzählt nur unter der Prämisse der Anonymität: "Erzwungene Loyalität, willkürliche Verhaftungen, Ausschluss der Zivilgesellschaft und Korruption. Ein autoritäres Regime wird durch ein anders ersetzt."

Einer der wenigen, der sich öffentlich äußert, ist Abdulhkeem Alshater, Obmann des Vereins Freie Syrische Gemeinde Österreichs. Der Verein hilft Geflüchteten beim Deutschlernen oder Bürokratischem; bekannt wurde er der Öffentlichkeit durch die Mithilfe bei den Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser vor einem Jahr und die Organisation der Großdemo in Wien nach Bashar al-Assads Sturz. Alshater stammt aus Homs, musste von dort als öffentlicher Kritiker Assads flüchten. Er verurteilt die jüngsten Gewalttaten "von allen Seiten" – und trotzdem, sagt Alshater, "können wir gerade nichts anderes tun als beobachten".

Syria hit by worst drought in decades

Ein Bäcker in Idlib. Die aktuelle Dürre hat zu einem Rückgang der Weizenproduktion des Landes um 40 Prozent geführt.  Laut der WHO leiden drei Millionen Syrer Hunger.

Handverlesene Komitees

Unter Assad war das Parlament nicht mehr als ein alles abnickendes Gremium, ein "Applausparlament", wie die Syrer gerne sagen. Der jetzige Wahlvorgang ist kompliziert und kleinteilig: Nur 7.000 Syrer sind ausgewählt, die Zusammensetzung des neuen Parlaments mitzubestimmen. Vorab von der Regierung ausgewählte Komitees – in denen angeblich eine Frauenquote von 20 Prozent gilt – wählen Vertreter für ihre jeweiligen Wahlkreise, oder sich selbst. Die Wahlen sollen jetzt gerade stattfinden.

Die gewählten Vertreter müssen mindestes 25 Jahre alt, dürfen nicht vorbestraft und unter Assad nicht im Parlament gesessen sein. Neben den handverlesenen Wahlkomitees werden vom Präsidenten auch ein Drittel der 210 Abgeordneten direkt ernannt.

Zwei Regionen sind von der Wahl ausgenommen: das mehrheitlich von Drusen bewohnte Gebiet as-Suwaida sowie die kurdischen Provinzen ar-Rakka und al-Hasaka, die außerhalb des Einflusses der Regierung liegen. Ihre Sitze im Parlament bleiben leer.

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Von Demokratisierung kann keine Rede sein, eher von einer "Zwischenlösung für die Legislative", sagt Kotayba Kadri. Kadri ist Politikwissenschafter, aus Syrien geflüchtet und lebt heute in Wien. So wie es bisher war, alle Macht beim Präsidenten, "das ist weder für sein Image noch für das Land oder die Bevölkerung gut".

Gleichzeitig seien direkte Wahlen derzeit aus logistischen Gründen nicht möglich: "Es gibt keine aktuelle Statistik, wie viele Syrer im Land leben, wer überhaupt noch am Leben ist, und wo sich die Geflüchteten befinden", so Kadri. Mindestens sechs Millionen Syrer leben laut UN als Flüchtlinge im Ausland.

Spätestens 2030, so hat es al-Sharaa angekündigt, sollen die ersten allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden.

"Eine gefährliche Fassade", fasst es die Syrerin zusammen. "Ein autoritäres Regime wird durch ein anders ersetzt." "Abwarten", meint Alshater. Der Verein hat versucht, mit der Interimsregierung in Kontakt zu treten, "wir wissen, wie Demokratie funktioniert", sagt Alshater. Bisher blieb ihre eMail unbeantwortet.

QATAR-SYRIA-POLITICS-DIPLOMACY

Der stellvertretenden Premierminister von Katar, Scheich Saud bin Abdulrahman al-Thani (re.) empfängt den syrischen Interimspräsidenten Ahmed al-Sharaa in Doha am 15. September 2025. 

Al-Sharaa braucht Geld

Die Umstrukturierung des Parlaments geschieht auch mit Blick aufs Ausland: Kommende Woche spricht al-Sharaa, als erster syrischer Präsident seit 1967, bei der UN-Generalversammlung und soll US-Präsident Donald Trump treffen – ein Meilenstein für die bilateralen Beziehungen. Bis Juli hatte die USA die islamistische HTS noch als Terrororganisation gelistet. Trotz der teilweise aufgehobenen Sanktionen halten sich viele Länder mit Finanzmitteln noch zurück. Die jüngsten Massaker an Alewiten und Drusen waren alles andere als vertrauenserweckend.

Geld braucht al-Sharaa dringend: Assad habe nicht mehr als 100 Dollar in der Nationalbank gelassen, erzählt man sich zynisch. Gasdeals mit Aserbaidschan und der Türkei scheitern an der zerstörten Infrastruktur, eine aktuelle Dürre verschärft den Hunger im Land. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat jetzt schon zu wenig zu essen. Immer wieder gibt es Vorwürfe, die Interimsregierung würde sich am Vermögen der Assads bereichern, al-Sharaa im Palast von Assad leben.

"Kein Essen, keine Arbeit, kein Dach über dem Kopf. Bevor sich das nicht ändert, interessieren sich viele gar nicht erst für Demokratie oder Freiheit", sagt Alshater. Er plädiert dafür, dass es Möglichkeiten brauche, dass die syrische Diaspora kurzzeitig nach Syrien reisen darf, um sich selbst von der Lage vor Ort überzeugen zu können, ohne automatisch ihren Asylstatus zu verlieren. "Viele hier wissen nicht, ob ihre Wohnung noch steht, wie es bei ihnen zuhause aussieht. Ob sie etwas haben, wofür es sich lohnt, zurückzukehren", sagt Alshater.

Selbst wenn es diese Möglichkeit geben würde: Die Angst, dass sie unter al-Sharaa ähnliche Repression erleben wie unter Assad, hält viele zurück.

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