Ayaz Morad - der erste von 700.000 Flüchtlingen, die nach Österreich kamen

Zusammenfassung
- Ayaz Morad war am 5. September 2015 der erste Flüchtling, der offiziell nach Österreich einreisen durfte und markierte damit den Beginn der großen Flüchtlingswelle.
- Rund 4000 Flüchtlinge marschierten aus Angst vor schlechten Bedingungen in ungarischen Lagern zu Fuß Richtung Österreich, nachdem sie in Budapest gestrandet waren.
- Nach politischen Verhandlungen wurden Busse bereitgestellt, und die Ankunft der Flüchtlinge führte zur größten Hilfsmission in Österreich seit der Ungarnkrise.
"Freiheit" war das erste Wort, das der damals 22-jährige Ayaz Morad sagt, als er gemeinsam mit dem KURIER in Nickelsdorf die Grenze nach Österreich überschreitet. Am 5. September 2015, um 2.35 Uhr, ist der Syrer somit der erste Flüchtling, der mit Erlaubnis der Behörden ins Land darf. Dieser Schritt markiert den Beginn der Flüchtlingswelle, Hunderttausende werden folgen.
Bevor Morad nach Österreich durfte, hatte der Kriegsflüchtling viel durchgemacht. Bei der Überfahrt nach Griechenland wäre er fast ertrunken, als sein Plastikschlauchboot in der Mitte brach. "Ich wusste: Jetzt sterbe ich", erzählt er während des Marsches auf Wien dem KURIER. Wie viele andere war er beim Bahnhof Budapest gestrandet. Dort wurden die Flüchtlinge von Hooligans angegriffen, auch die Polizei war wenig hilfsbereit - so wurde am Tag zuvor angeboten, dass eine Gruppe Syrer und Iraker mit Bussen nach Österreich gebracht werden. Doch tatsächlich wurden sie in das Lager Bicske verfrachtet, wo die Versorgung kaum gewährleistet war.
Deshalb marschierten rund 4000 Menschen auf eigene Faust über den Pannenstreifen der Autobahn los. Sie wollten 200 Kilometer gehen.
Um 22.30 Uhr kommt zum Showdown. Die 4000 Flüchtlinge campieren an einer Autobahnabfahrt am Pannenstreifen. Männer, Frauen und Kinder liegen erschöpft auf der Autobahn. Manche haben Prothesen an oder gehen auf Krücken, alle sind von der wochenlangen Tortur gezeichnet.
Zu diesem Zeitpunkt laufen zahlreiche Telefonate zwischen Bundeskanzler Werner Faymann, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Ungarns Regierungsschef Viktor Orban. Nach zähen Verhandlungen kommt man überein, dass den Flüchtlingen Busse für die Fahrt nach Österreich zur Verfügung gestellt werden.
Doch die Flüchtlinge wollen nicht einsteigen, da sie fürchten ebenfalls in Lager gebracht zu werden. Mehrere junge Iraker und Syrer, die eine Art Anführer sind, streiten darum, was sie tun sollen. Ayaz Morad schlägt vor, dass der KURIER als Pfand mitkommen soll. Alle Beteiligte stimmen diesem Vorschlag zu. Die irakische Gruppe und Morad versuchen, auch andere anwesende Medien zu überzeugen, mit ihnen in die Busse zu steigen. Die ARD und eine Wiener Lokalzeitung sind dann schließlich ebenfalls an Bord.
Als Morad mit dem KURIER schließlich Stunden später die österreichische Grenze überschreitet, werden die anderen Wartenden telefonisch informiert, dass die Busse tatsächlich nach Österreich fahren. Dort wartet eine zunächst überraschte Polizei. Man rechnet noch mit maximal 800 Flüchtlingen an diesem Tag.
Dass insgesamt 4000 kommen sollen plus 2500 weitere aus Budapest, will man zunächst nicht glauben. Der damalige Landespolizeikommandant Hans-Peter Doskozil erscheint um drei Uhr in der Nacht, um sich vom KURIER über die Lage zu informieren zu lassen. "Wir wissen leider gar nichts, wir haben keinen Kontakt nach Ungarn", sagt er. Es folgt die größte Hilfsmission in Österreich seit der Ungarnkrise.
Was aus Morad wurde, ist unklar. Zuletzt war er in Frankfurt. Unklar ist, ob er sich seinen großen Traum von einem Leben in England, erfüllen konnte.