Doskozil zu Flüchtlingswelle: "Bevölkerung wurde Bär aufgebunden"

Doskozil (SPÖ)
2015 war Hans-Peter Doskozil burgenländischer Landespolizeidirektor, als die Flüchtlinge durch Österreich zogen. Im KURIER-Interview erinnert er sich daran und welche Folgen bis heute spürbar sind. Und er spart nicht mit Kritik an der Politik.
Vor zehn Jahren sagte Angela Merkel „Wir schaffen das“ – haben wir das geschafft?
Das Management der Flüchtlingsbewegung hat im Burgenland gut funktioniert. Was weder auf EU- noch auf Bundesebene geschafft wurde, sind gesetzliche Regelungen, die künftigen Flüchtlingswellen vorbaut, die Schlepperkriminalität einen Riegel vorschieben. Dazu braucht es in Österreich und Europa endlich eine vorausschauende Migrationspolitik. Österreich hat es nicht geschafft, den Konsequenzen dieser Massenbewegung Herr zu werden. Wir müssen uns auch die Frage stellen dürfen, was enormer Zuzug für unsere Gesellschaft bedeutet. Ich bleibe dabei: Asyl ist keine Einbahnstraße. Wir setzen daher in unserem Wirkungsbereich alles um, was möglich ist, um das Burgenland und seine Bevölkerung vor Eskalationen zu schützen. Dabei setzen wir auf echte Integration. Durch die Verpflichtung von Asylwerbern zu gemeinnütziger Arbeit gelingt uns ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Doskozil mit Innenministerin Mikl-Leitner im Jahr 2015
Was dachten Sie damals, als klar wurde, dass Hunderttausende Menschen nach beziehungsweise durch Europa wollen?
Als uns die Flüchtlingswelle 2015 erreichte, war ich als Landespolizeidirektor täglich an der Grenze zu Ungarn. Damals sind über Nickelsdorf täglich 5.000 bis 20.000 Migranten nach Österreich gekommen. Es galt die Einsätze von Militär und Polizei zu koordinieren und diese Krise zu bewältigen, ohne dass Menschen zu Schaden kommen. Rückblickend war das eine der größten menschlichen Katastrophen auf burgenländischem Gebiet. Damals, in der Situation, musste man die emotionale Belastung vorerst wegschieben und einfach funktionieren. Nicht nur ich – das gilt für alle Einsatzkräfte, die Großartiges geleistet haben. Ich erinnere mich mit Schrecken an die 71 toten Flüchtlinge in einem Kleintransporter bei Parndorf, solche Katastrophen dürfen erst gar nicht passieren.
Wurde damals alles richtig gemacht oder was hätte man – rückblickend – anders machen sollen?
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Kritik übe ich daher vor allem an der laschen Asylpolitik infolge der Krise. Man hat der Bevölkerung einen Bären aufgebunden und einen Wahlkampf nach dem anderen damit bestritten – weder die Balkanroute noch irgendwelche anderen Routen waren jemals geschlossen – das sind sie bis heute nicht.
Zehn Jahre sind vergangen, sind Österreich und Europa heute besser vorbereitet, falls sich das wiederholen sollte? Beziehungsweise kann sich das jederzeit wiederholen?
Man hat aus meiner Sicht nicht daraus gelernt, die Systematik ist die gleiche geblieben. Die Bundespolitik feiert zwar in regelmäßigen Abständen niedrige Aufgriffszahlen, die aber kein Erfolg der Politik sind, denn Migration erfolgt in Wellen. Daher wird es auch in Zukunft wieder steigende Zahlen geben. Wir sind darauf auch nach 10 Jahren nicht besser vorbereitet. In Österreich braucht es eine konsequente Abschiebepraxis, denn derzeit gilt: Wer in einmal ankommt, kann zu 90 Prozent bleiben, auch mit negativem Bescheid. Das ist ein Armutszeugnis, dass Österreich seine eigenen Gesetze nicht vollziehen kann. Auf europäischer Ebene kann man die Schlepperkriminalität nur durch eine Verfahrenssystematik mit außereuropäischen Zentren und raschen Asylverfahren in den Griff bekommen. Im Zusammenspiel dieser Maßnahmen hätte es nämlich keinen Sinn mehr, illegal nach Mitteleuropa zu kommen.