
© Jens Mattern
Syrer in Schweden: "Wir schicken niemanden zurück"
In Södertälje bei Stockholm leben 15.000 syrische Flüchtlinge. Ein KURIER-Lokalaugenschein.
Draußen wirbeln die Schneeflocken, drinnen spricht Sprachlehrerin Lisa ruhig die passenden Wetter-Verben vor: „Det blåser, det snöar“, es windet, es schneit. Die Eleven der SFI, der „Schwedisch für Einwanderer-Schule“, in Södertälje wiederholen sie brav. Die vielen Syrer unter ihnen sind in dem Neubau aus Holz nicht nur vor dem Unbill des Wetters geschützt, sondern auch vor dem Bürgerkrieg im Herkunftsland. Es sind ausschließlich Christen, gerade sie werden von den vornehmlich sunnitischen Rebellen in Syrien bedroht.
„Schweden ist nun meine Zukunft, ich will hier schnell meinen Sprachabschluss machen und wieder als Krankengymnast arbeiten“, meint der Mittzwanziger Sako (Georg) Shaoo. Viele Tausend Euro hat seine Flucht gekostet, vor allem die illegale Bootsfahrt von der Türkei nach Griechenland in die rettende Schengenzone war teuer. Doch es hat sich gelohnt.
Großzügige Hilfe
Das skandinavische Land ist für seine großzügige Flüchtlingspolitik bekannt. So können in Schweden Asylsuchende bei Verwandten und Freunden wohnen. „Der Syrienkrieg ist ein ernsthafter Konflikt, wir schicken derzeit niemanden zurück“, erklärt Mikael Ribbenvik, Vize-Direktor der staatlichen Behörde „Migrationsverket“ gegenüber dem KURIER.
Rund 17.000 syrische Asylsuchende werden dieses Jahr Schweden erreicht haben, die Behörde geht von 22.000 aus, die nächstes Jahr ins Land kommen. Das Migrationswerk will an die Solidarität anderer Staaten appellieren, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Aber auch von der Stockholmer Regierung wird Gemeinschaftssinn verlangt – dies sagen schwedische Kommunen. Durch die freie Ortswahl der Migranten sind einige vollkommen überlastet.
Ab und zu ein Schuss
Södertälje mit rund 83.000 Einwohnern ist der extremste Fall. Die Fußgängerzone aus den 70er-Jahren macht nicht den besten Eindruck, einige Geschäftsräume sind leer wie die Kneipen und Restaurants unter der Woche; ab und zu fällt hier auch ein Schuss. Früher lockten Arbeitsplätze des Lastwagenherstellers Scania, heute ziehen die bereits vorhandenen 15.000 syrischen Bewohner die Flüchtenden an. Die Stadt sorgte für Schlagzeilen, als sie 2008 mehr Iraker als die USA aufnahm – fast ausschließlich Christen, die sich selbst als Assyrer oder Syrianer bezeichnen. Dabei kamen alle privat unter, die Stadt verfügt über kein einziges Flüchtlingsheim. Es soll auch keines gebaut werden. Doch Plätze für neue Schüler, Lehrer, Sprachkurse, Notversorgungen müssen vorbereitet werden.

Doch bisher scheint die konservativ-liberale schwedische Regierung Fredrik Reinfeldts das Problem aussitzen zu wollen. „Hier bei uns wachsen junge Menschen auf, die nicht einen Freund haben, der Schwedisch kann oder einen Job hat, das geht nicht“, so Godner.
Die Arbeitslosigkeit ist mit 14 Prozent rund doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt. Das merkt man auch in dem ehemals bürgerlich-schwedischen Café Tidermans, wo sich die syrischen Männer beim Tee beschweren, dass sie keine Anstellung bekommen.
Reise ins gelobte Land

Bei rund 20.000 Euro liege derzeit der Preis für eine Reise ins gelobte Land im Norden. Der mehrsprachige Politikwissenschaftler wundert sich nicht, dass bei der großen Anzahl von Migranten in manchen Städten migrationsfeindliche politische Gruppen entstehen.

Recht und Ordnung
Zwei mannsgroße Papp-Polizisten hübschen das karge Interieur etwas auf – mehr Polizeipräsenz, das ist auch Programm der Schwedendemokraten; Recht und Ordnung ihre Antwort auf die Unruhen im vergangenen Mai, als im Stockholmer Migrantenviertel Häuser und Autos brannten und das konsensbewusste Schweden erschütterten. Eine ungeordnete Situation mit Flüchtlingen könnte den Schwedendemokraten landesweit noch mehr Stimmen bei den kommenden Parlamentswahlen im Herbst bescheren. Die Anhängerschaft wächst jedenfalls, derzeit wollen nach Umfragen mehr als 13 Prozent die Schwedendemokraten wählen, sie wäre somit drittstärkste Kraft und weder die Sozialdemokraten noch die derzeit regierenden „Moderaten“ könnten so regierungsfähige Koalitionen bilden.

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