Soweto-Aufstand: Polizisten, die auf Kinder schießen

Vor 40 Jahren kam es zu einem Massaker bei einer Schülerdemonstration gegen das südafrikanische Apartheidregime.

Eine Schülerdemonstration im südafrikanischen Elendsviertel Soweto wurde vor 40 Jahren brutal niedergeschlagen. Es ist die Geschichte von Widerstand gegen die Unterdrückung - und auch die Geschichte eines Zwölfjährigen, der damals brutal erschossen wurde.

Da waren plötzlich Schüsse. Antoinette Sithole versuchte, ihren Bruder in den Massen protestierender Schüler wiederzufinden. Kurz zuvor hatte sie den zwölfjährigen Hector im Chaos verloren. Dann entdeckte sie einen Mann, der Hector auf dem Arm trug. "Er sagte: "Lauf!", also lief ich", erzählt die Frau mit ruhiger Stimme. Erst dann sah sie das Blut. "Es kam aus Hectors Mund." Sie liefen weiter, ein Auto hielt, eine Frau forderte sie auf, einzusteigen. Doch die Hilfe kam zu spät. Hector war bereits tot. Antoinette Sithole hält kurz still und atmet tief durch.

Im kollektiven Gedächtnis eingebrannt

Die Szene, die Sithole beschreibt, hat sich wohl in das kollektive Gedächtnis der meisten Südafrikaner eingebrannt. Auch, weil es ein Foto davon gibt, wie die damals 17-Jährige hinter dem Mann, der ihren sterbenden Bruder in den Armen hält, herrennt. In ihrem Gesicht - absolute Panik. Am 16. Juni 1976 starb Hector Pieterson - und mit ihm viele andere Schüler. Es war der Aufstand von Soweto, der an diesem Tag begann. Es war der Tag, an dem Polizisten auf Kinder schossen.

Soweto, das war damals ein Elendsviertel im Südwesten Johannesburgs. Soweto, das ist heute Symbol des Widerstands - gegen das Apartheidregime Südafrikas. Auslöser der Schülerdemonstrationen war die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache an den Schulen. Afrikaans galt als Sprache der Weißen, die unterdrückte schwarze Bevölkerung beherrschte die Sprache kaum - und fürchtete noch mehr Benachteiligung und Diskriminierung. Soweto, das war damals der Beginn landesweiter Proteste.

"Vor den Augen Gottes sind wir alle gleich"

Wenn Oupa Moloto an den 16. Juni vor 40 Jahren denkt, erinnert er sich an eine blutende Hand. Es war nicht seine, es war die eines Buben, der neben ihm stand. "Da war mir klar, dass die Polizei wirklich auf uns schießt", erzählt der heute 59-Jährige. Er war damals einer von 15.000 Demonstranten. Moloto demonstrierte gegen etwas, das er als tiefe Ungerechtigkeit empfand. "Vor den Augen Gottes sind wir alle gleich", sagt er und nickt dabei. Er ist Mitglied der June 16 Foundation, einer Stiftung, die sich für die Bildung junger Menschen einsetzt.

Heute feiert Südafrika den Juni traditionell als Monat der Jugend - in Erinnerung an die Ereignisse im Juni 1976. Doch auch Jahrzehnte nach dem Ende des Apartheidregimes haben schwarze Schüler in Südafrika nicht die gleichen Chancen. Nach Angaben des Zensus 2011 haben 36 Prozent der weißen Südafrikaner, die 20 Jahre oder älter sind, einen höheren Bildungsabschluss. Bei der schwarzen Bevölkerung sind es nur 8,3 Prozent. Nach Darstellung des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) haben 27 Prozent der öffentlichen Schulen kein fließendes Wasser, 78 Prozent haben weder Bibliotheken noch Computer.

Wendepunkt der Apartheid

Wenn Antoinette Sithole an den 16. Juni zurückdenkt, empfindet sie dennoch keine Wut. "Wir haben viel erreicht", sagt sie. "Das Blut, das damals vergossen wurde, war der Wendepunkt der Apartheid." Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte damals das gewalttätige Vorgehen der Regierung. Auch wenn die ersten demokratischen Wahlen erst fast 20 Jahre später stattfinden sollten, Soweto stärkte damals den Widerstand gegen das Regime.

Heute radeln Touristen mit dem Fahrrad durch das ehemalige Elendsviertel. Ein Denkmal mit dem Foto des sterbenden Buben und ein Museum erinnern an Hector Pieterson. Soweto, das ist heute Pflichtprogramm für südafrikanische Schüler. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Schulklasse Halt am Denkmal macht.

Sithole führte die Besuchergruppen jahrelang durchs Museum, vor zwei Jahren hat sie offiziell damit aufgehört. Doch so wirklich trennen kann sie sich nicht von dem Ort, erzählt Besuchern noch immer regelmäßig ihre Geschichte - eine Geschichte brutaler Gewalt. Sithole ist sich sicher: "Ich habe überlebt, um zu erzählen, was damals wirklich passiert ist."

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