Streit um AKW nahe der Grenze
50 Kilometer von der litauischen Hauptstadt Vilnius wächst auf weißrussischer Seite ein Atomkraftwerk heran, das der litauischen Regierung zunehmend Sorgen bereitet. Man sei nicht am "Strom des unsicheren Reaktors" in Astravyets interessiert, beschied Linas Linkevičius, Litauens Außenminister, dem Nachbarland.
Denn auf der Baustelle des AKW gab es am 10. Juli einen Unfall – Kräne ließen die 330 Tonnen schwere Reaktorhülle aus mehreren Metern Höhe fallen. Doch die Regierung in Minsk verschwieg diesen Vorfall 16 Tage lang und gab darauf nur zögerliche Eingeständnisse des Malheurs per Pressemitteilung heraus.
Der weißrussische Staatspräsident Aleksander Lukaschenko versprach zwar, die Hülle auszurangieren, sollte sich ein Schaden finden. Die hauptverantwortliche russische Staatsfirma Rosatom bestreitet jedoch, dass die Hülle Schaden genommen habe. Auch ein litauisch-weißrussisches Expertenteam, wie von Vilnius vorgeschlagen, wird von Minsk abgelehnt. Das EU-Mitglied Litauen hat kürzlich bei der EU-Kommission angefragt, man möge bei Weißrussland in Sachen nuklearer Sicherheit intervenieren. Dass der Fluss Neris, der zur Kühlung des künftigen Reaktors genutzt wird, später durch Vilnius fließt und dort für Trinkwasser genutzt wird, trägt nicht zur Beruhigung bei.
Atomkraft-Befürworter
Litauen gilt selbst als einer der großen Befürworter der Atomkraft in Europa. Zwar wurden auf Drängen der EU die beiden Reaktorblöcke des einzigen litauischen AKW Ignalina 2004 und 2009 stillgelegt. Dort, ebenfalls nahe der weißrussischen Grenze, soll ein neues, moderneres AKW erbaut werden. Litauen will sich so vom russischen Gas unabhängiger machen.
In Weißrussland, wo 90 Prozent der Energie aus russischem Gas besteht, hat man mit dem AKW Astravyets eine ähnliche Zielrichtung. Doch das Land, das seit 1994 von Lukaschenko autoritär regiert wird, ist von Finanzspritzen aus Moskau abhängig.
Mit einem Kredit von neun Milliarden Dollar wird die Anlage fast vollständig von russischer Seite finanziert, den Bau verantworten allein russische Unternehmen. Zwei Blöcke vom Typ WWER-1200 sollen 2018 und 2020 ans Netz gehen.
Die Firma Rosatom würde die Teile für das AKW in einem Rekordtempo wie "Pfannkuchen backen", warnt die russische Journalistin Nadeschda Popowa. Es drohe ein internationaler Skandal.
Das Land, damals Sowjetrepublik, litt und leidet durch die Katastrophe von Tschernobyl, bei der Reaktor 4 im ukrainischen Atomkraftwerk explodierte. Der radioaktive Niederschlag ging zu 70 Prozent in Weißrussland nieder.
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