Straßburg-Verdächtiger: Vorbestraft, untergetaucht, gesucht
Es ist der Tag danach. In Straßburg herrscht Chaos nach den Schießereien im Zentrum vom Vorabend, samt Flucht des Angreifers und Razzien. Das Zentrum der französischen Stadt bleibt am Mittwoch abgeriegelt, Museen, Theater, die Oper, Kindergärten, Grundschulen bleiben geschlossen. Nach einer Krisensitzung des Kabinetts von Präsident Emmanuel Macron wird schließlich in ganz Frankreich die höchste Alarmstufe ausgerufen.
Mühevoll versuchen sich die Behörden ein Bild der Ereignisse des Vorabends zu machen – und wirken dabei, als tappten sie völlig im Dunkeln. Einmal sprechen sie von drei Toten, revidieren dann, sprechen von zwei Toten, um nur kurz später wieder die Opferbilanz auf drei zu erhöhen. Am Ende heißt es: zwei Tote, ein Opfer hirntot, zwölf Verletzte. Die selbst selbst ernannten „Weihnachtshauptstadt“ Europas ist in Schockstarre.
Eva Twaroch (ORF) berichtet aus Straßburg
Rasche Identifizierung
Ein junger Mann hatte gegen 20 Uhr im festlich geschmückten Stadtzentrum das Feuer auf Passanten eröffnet, Menschen mit einem Messer angegriffen und sich im Laufe einer Stunde mindestens zwei Schießereien mit Sicherheitskräften geliefert. ORF-Korrespondent Peter Fritz war vor Ort, als die Schüsse fielen und hatte versucht, dem ersten Opfer Erste Hilfe zu leisten – vergeblich.
Dann kaperte der Angreifer ein Taxi und floh – Augenzeugen zufolge, nachdem er angeschossen worden war. Die Sperrung der nahen Grenze zu Deutschland, Straßensperren und Blitz-Razzien im Heimatviertel des verdächtigen, in Straßburg lebenden Mannes brachten kein Ergebnis. Trotz des Einsatzes von 600 Beamten und Hubschraubern.
Auch die bayerische Polizei sucht intensiv nach dem mutmaßlichen Täter. "Damit unterstützen wir die französischen Kollegen bei der Täterfahndung. Beispielsweise haben wir unsere Schleierfahndungskontrollen verstärkt, vor allem in Richtung Baden-Württemberg", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Mittwoch in München.
Video: Attentat in Straßburg
Gefahndet wird nach dem 29-jährigen Cherif C., einem Franzose algerischer Abstammung mit krimineller Biografie. Er hat einen Pflichtschulabschluss, war als Gemeindearbeiter tätig und seit 2011 arbeitslos. Eigenen Angaben zufolge ist er seither viel gereist, berichteten Medien unter Berufung auf das Umfeld des Verdächtigen. Fix ist: Insgesamt wurde er wegen krimineller Vergehen 27 Mal verurteilt. Die Polizei gab am Mittwoch einen offiziellen Fahndungsaufruf mit einem Foto heraus, in dem sie die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem 29-Jährigen bat.
Zuletzt war Cherif C. in Deutschland wegen Einbrüchen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz von Jänner 2016 bis Februar 2017 in Haft gewesen. Nach Verbüßung der Strafe war er nach Frankreich abgeschoben worden, wo er sich bei seinem Bruder in Straßburg niederließ.
Auch in Luxemburg soll er kriminell unterwegs gewesen sein. Die DNA von Cherif C. sei bei einem versuchten Einbruchsdiebstahl im Jahr 2012 am Tatort gefunden worden, sagte ein Sprecher der Regierung in Luxemburg am Mittwoch. Danach sei auch ein Strafverfahren gegen C. eingeleitet worden. Eine Vorladung habe dem Mann aber nicht zugestellt werden können, da sein Wohnort damals unbekannt gewesen sei, sagte ein Sprecher der Luxemburger Justiz.
In den Morgenstunden des Dienstag hätte Cherif C. wegen eines Raubüberfalls verhaftet werden sollen. Nachdem er nicht angetroffen worden war, durchsuchten die Beamten die Wohnung des Brüderpaares und fanden eine Handgranate, Munition und Messer. Nach Cherif C. und seinem Bruder Sami C., 34, wird jetzt in Frankreich wie in Deutschland gefahndet. Ob das Brüderpaar zusammen oder getrennt voneinander unterwegs ist, ist ebenso unklar wie, ob es einem oder beiden Gesuchten gelang, sich nach Deutschland abzusetzen.
Salafistische Szene
Das Brüderpaar wird laut französischen Behörden der salafistischen Szene zugerechnet. Zumindest Cherif C. soll in Frankreich als Gefährder gelistet worden sein. Radikalisiert habe er sich in Haft. In der Gefährder-Datei der deutschen Behörden scheint er dagegen nicht auf – was mit unterschiedlichen Maßstäben in Deutschland und Frankreich für eine solche Listung erklärt wird.
Die französischen Behörden zögerten gestern, die Tat als Terrorakt einzustufen – auch, wenn Anti-Terror-Spezialisten der Pariser Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernahmen. Das französische Innenministerium wollte sich allerdings nicht auf ein terroristisches Motiv festlegen. Der leitende Ermittler sprach später von Terror.
Ausgeschlossen wurde auch nicht ein Racheakt nach der gescheiterten Festnahme in der Früh. Den französischen Behörden waren jedenfalls keine Anzeichen einer Tat-Vorbereitung bekannt.
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