Edmund Stoiber über Union als Juniorpartner: "Das hat es noch nie gegeben"
KURIER: Herr Stoiber, Sie waren selbst mal Kanzlerkandidat, wie viel Mitgefühl haben Sie gerade mit Armin Laschet?
Edmund Stoiber: Ich weiß, wie viel Respekt man vor den vielen Veranstaltungen hat, den großen Erwartungen und den Konfrontationen mit den Gegenkandidaten. Man will keinen Fehler machen.
Es ist letztlich ein enges Rennen geworden. Hat Sie das überrascht?
Der Wahlkampf plätscherte lange vor sich hin. Man hat sich mehr mit Befindlichkeiten beschäftigt: Ob wer seine persönlichen Angelegenheiten bis ins letzte Detail geklärt hat – oder wie sich jemand wann verhält. Die notwendige Auseinandersetzung mit Inhalten wird erst seit Kurzem ernsthaft geführt.
Laschets Lachen im Hochwassergebiet hat alles überlagert.
Es ist der Union sehr spät gelungen, die programmatischen Unterschiede zu den anderen Parteien deutlich zu machen. Erst seit den letzten 14 Tagen geht es um die wichtigen Fragen: Wie soll sich Deutschland weiterentwickeln? Wie können wir unsere Industriegesellschaft, die ein hohes soziales Niveau ermöglicht, klimaneutral erhalten? Mit einer Wiedereinführung der Vermögensteuer in einer Zeit, wo Deutschland an Wirtschaftswachstum verliert? Mit einer Erhöhung der Einkommensteuer, die vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen trifft? Wenn wir mehr staatlich regulieren wollen, mehr Umverteilung von mittelständischen Unternehmen abverlangen, gehen wir einen verhängnisvollen Weg. SPD, Grüne und Linke wollen das mit unterschiedlichen Ausprägungen.
Das klingt so, als würden Sie nicht mit einer unionsgeführten Regierung rechnen.
Doch. Ich glaube, dass wir es schaffen. Aber es ist relativ neu, dass die SPD vorne liegt. Scholz ist schon lange nominiert, die SPD lag bis vor zwei Monaten eingemauert bei 14 bis 15 Prozent. Eigentlich haben sich alle darauf eingestellt, dass es zu einem Zweikampf von Armin Laschet mit der Kanzlerkandidatin der Grünen kommen wird.
Was ist dann passiert?
Zum einen die schon erwähnte Fixierung auf Nebensächlichkeiten, die von den eigentlichen Inhalten abgelenkt hat. Zum anderen war Armin Laschet durch die Flutkatastrophe im Juli als Krisenmanager in seinem Bundesland Nordrhein-Westfalen gefordert und musste viele Wahlkampfauftritte absagen. Mit Angela Merkel geht nach 16 Jahren eine bewährte Leaderin. Sie hat Deutschland und Europa gut durch verschiedene Krisen geführt. Olaf Scholz hat versucht, sich als natürlichen Nachfolger der Kanzlerin darzustellen. Dieser politischen Erbschleicherei hat die Bundeskanzlerin ja ein klares Ende gesetzt. Auch deshalb bin ich überzeugt, dass sich die Stimmung zugunsten von CDU und CSU auf den letzten Metern noch drehen kann.
In der letzten Umfrage sprechen sich 21 Prozent für die Union aus, dabei hatte sie noch vor einem Jahr einen Riesen-Vorsprung.
Richtig ist, dass wir deutlich unter den knapp 33 Prozent der letzten Wahl liegen. Aber der Trend geht nach oben. Wir haben eine realistische Chance, stärkste Fraktion zu werden – darauf kommt es jetzt an.
Was stimmt Sie so optimistisch?
Laut Umfragen sind noch viele Wähler unentschlossen. Ich bekomme viele Briefe von Menschen, die schreiben, es gehe um viel mehr als um das Kanzleramt. Am Ende zählt, welche Partei die stärkste sein wird.
Wenn Sie so viel in Kontakt mit den Menschen stehen: Der CDU-Vorstand hat jemanden als Kanzler empfohlen, den die Basis mehr oder weniger ablehnt. Dazu haben Sie doch sicher auch viele Briefe und Fragen bekommen …
Natürlich gab es die. Aber ich habe gelernt, Entscheidungen zu respektieren und zu akzeptieren. Wir wählen keinen Präsidenten wie in den USA oder Frankreich. Es geht in erster Linie um Parteien und das, was sie mit dem Land vorhaben. Es muss sozial gerecht zugehen, klar, das ist eine Daueraufgabe, aber wir müssen auch über die Grundlagen unseres Wohlstandes debattieren. Dass Deutschland zur Bekämpfung der Pandemie mehr ausgeben konnte als die anderen 26 europäischen Länder zusammen, ging ja nur, weil wir gut gewirtschaftet und die schwarze Null gehalten haben.
Dennoch gibt es viele Herausforderungen, einiges wurde verschlafen.
Klar, wir haben Versäumnisse, sind bürokratischer und in den Verfahren komplizierter geworden. In der Digitalisierung sind die Amerikaner weit vor uns. Es gibt kein europäisches Unternehmen, das uns so ermöglicht zu kommunizieren, wie wir es auf Facebook tun.
Ein Thema, das die meisten Menschen umtreibt, ist der Klima- und Umweltschutz ...
Es ist einiges gemacht worden, aber das reicht bei Weitem nicht aus. Der Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe geworden und nur global zu lösen. Als technologieaffines Land wollen wir mit unserem Know-how zeigen, wie man ein Industrieland ökologisch umbauen kann. So können wir ein Beispiel für andere Länder sein.
Das hätte früher passieren können. Die Kanzlerin hat eingeräumt, zu wenig für den Klimaschutz getan zu haben.
Der Feind des Guten ist immer das Bessere. Die Finanz- und Eurokrise hat Ende der Nullerjahre alles in den Schatten gestellt, dann gab es durch die Flüchtlingskrise einen Einschnitt, dann kam Corona. Jetzt stehen wir vor der Frage: Wie sieht die Stellung Deutschlands und Europas in der Welt aus? Europa und Außenpolitik haben in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Nicht einmal Afghanistan. Wir haben Tausende von Ortskräften dort nicht rausgebracht. Wieso sind wir nicht in der Lage, ohne die Amerikaner einen Flughafen zu sichern? Damit wird sich die neue Regierung beschäftigen müssen.
Es ist interessant, dass sich im Wahlkampf keiner der Kandidaten von Angela Merkel abgesetzt hat. Sie wurde oft kritisiert, vor allem in der eigenen Partei, und trotzdem versuchen alle, ihr möglichst ähnlich zu sein.
Sie ist in vier Wahlen bestätigt worden und nach so vielen Jahren mit Abstand die Nummer eins in allen Umfragen. Man muss nicht mit allen ihren Positionen einverstanden sein, aber die Grundstimmung ist: Merkel hat uns gut durch die Jahre gebracht. Die Leute sind mit großer Mehrheit zufrieden.
Sogar die CSU. Markus Söder, der sie oft kritisiert hat, lobt sie in höchsten Tönen. So wie er sich überhaupt verändert hat. Sie kennen ihn sehr gut, was ist da passiert?
Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Markus Söder ist jetzt 54, steht mitten im Leben. Er sieht wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat: Die klassischen Milieus lösen sich auf, die Menschen sind individueller und anspruchsvoller geworden, auch gegenüber der Politik. Darauf reagiert er ganz konsequent.
Sie haben schon vieles aufgezählt, das die Union bewerkstelligen will. Können Sie sich das auch als Juniorpartner vorstellen?
Ich kann mir das nicht vorstellen. Das hat es noch nie gegeben und würde die innere Struktur der Union erheblich verändern. Wenn sie koaliert hat, stellte sie immer den Kanzler.
Sollte die Wahl verloren gehen, hängt die CSU mit. Manche sprechen schon von Erneuerung. Braucht es die auch bei der CDU? Kann Laschet als Vorsitzender weitermachen?
Ich verstehe, dass Sie diese Fragen stellen. Aber um in der Fußballsprache zu sprechen: Wir sind in der 87. Spielminute und müssen unbedingt ein Tor schießen. Da macht man sich keine Gedanken über verpasste Chancen in der ersten Halbzeit oder über das, was nach dem Abpfiff passieren könnte. Das wäre ja verrückt. Das Wahlergebnis wird intensiv diskutiert werden. Aber jetzt sieht man nur das gegnerische Tor.
Wenn wir schon beim Fußball sind: Sie haben in Bayern einen Stürmer, den viele für den besseren Kapitän gehalten haben – und den Sie gerne in Berlin gesehen hätten.
Dass Markus Söder alles draufhat, ist keine Frage. Er ist für alles geeignet im politischen Bereich. Aber Armin Laschet kann es auch. Die Entscheidung ist gefallen, und er hat die volle Rückendeckung der CSU.
Bis vor Kurzem hatten die Wähler ja nicht den Eindruck, als würde die Union zusammenhalten.
Markus Söder und die ganze CSU kämpfen für einen Erfolg Armin Laschets und der Union. Das wurde auch beim letzten Parteitag der CSU sehr deutlich. Laschet hat mit einer sehr guten Rede auch Skeptiker in den eigenen Reihen überzeugt. Ich bin zuversichtlich, dass sie viele Wähler auch so erreicht hat wie die Delegierten.
Zuvor sind in Richtung Laschet immer wieder Spitzen aus Bayern gekommen. Wäre es nicht besser gewesen, von Beginn an geschlossen hinter ihm zu stehen?
Es ist so, wie es ist. Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Wir haben jetzt ein Ziel und das heißt: Die Union muss eine rot-grün-rote Regierung verhindern, die eine andere Republik will, die umverteilen, enteignen und ungehemmt Schulden machen will.
Das klingt sehr dramatisch.
Ja, ist es ja auch. Betrachtung rückwärts gehört zum Leben, aber es geht um die Gegenwart und die Zukunft. Das sind wir auch einer ungeduldigeren, jungen Bevölkerung schuldig.
Was ja positiv ist.
Klar, ich habe acht Enkel, der älteste ist 22, die in einer CSU-nahen Umgebung aufgewachsen sind, aber natürlich manches anders sehen als ich. Sie haben einen anderen Erfahrungshorizont und eine lange Zukunft vor sich. Das ist die entscheidende Aufgabe einer Volkspartei wie der Union: die Interessen der alten und jungen, der armen und reichen Frauen wie Männer mit ihren verschiedenen Lebenserfahrungen auszutarieren, um am Ende gemeinsame Ziele zu erreichen.
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