Vom Traum vom Sozialismus ist nur Beton geblieben
Du soll Dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen einsetzen." So lautet der erste Grundsatz der sozialistischen Moral. Auf Platz acht der zehn Gebote: "Du sollst Deine Kinder im Geiste des Sozialismus zu allseits gebildeten charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen".
Nachzulesen ist diese kommunistische Lebenslehre im Museum der Alltagskultur der DDR im ostdeutschen Eisenhüttenstadt. Hier sollte einst ein neuer Menschenschlag geformt werden, für eine klassenlose Gesellschaft.
Das DDR-Museum ist in einer ehemaligen Kinderkrippe untergebracht. So wie das heute denkmalgeschützte Gebäude stellten sich die KP-Bonzen in den Fünfzigerjahren die Zukunft in ihrem Arbeiter- und Bauern-Paradies vor: Ein schlossartiger Treppenaufgang, Fenster mit Mosaikbildern, große Aufenthaltsräume mit Parkettboden.
Platz für Aufmärsche
Die Hauptachse der Stadt wurde zum Werktor ausgerichtet. Die Stadt verfügte über ein großes Spital, Theater mit pseudo-antiken Portal, Sportanlagen und einen zentralen Platz für Aufmärsche. Natürlich keine Kirche, kein Friedhof und keine Wirtshäuser. Nur ein riesiges Restaurant "Aktivist" mit 200 Plätzen, damit die Stasi die Gäste unter Kontrolle behielt.
Den Stalinstädtern winkten höhere Löhne als in der übrigen DDR, komfortable Wohnungen mit Radio, bevorzugte Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern sowie jährlichen Bezugsscheinen für Erholungsheime. Deshalb wurden sie von den neidischen DDR-Nachbarn als "Schrottgorod" verspottet.
Vor der Wende 1989 zählte die Stadt 53.000 Einwohner, das Kombinat beschäftigte bis zu 16.000 Werktätige. Mit dem Ende des Sozialismus kam das Aus für die Privilegien. Die Industrieproduktion ging zurück. Heute gehört das einstige Metallurgiekombinat dem indischen Megakonzern ArcelorMittal: Die Arbeit reicht nur noch für 2800 Mitarbeiter.
"Wir verdienen hier um ein Drittel weniger als die Wessis", klagt ein Einheimischer. Der Familienvater pendelt regelmäßig über die Oder in die polnischen Einkaufszentren.
Angst vor Asylanten
Seit der Wiedervereinigung versuchen die Stadtväter in der Eisenhüttenstadt die Abwanderung zu stoppen. Kaputte Plattenbauten wurden abgerissen. Die ehemaligen Arbeiterpaläste so wie die ganze Innestadt wurden renoviert. Für neue Mitbürger werden Feste organisiert. Trotzdem steht heute ein Viertel der Wohnungen leer, die Kinderspielplätze sind verwaist. Die Einwohnerzahl hat sich seit 1990 halbiert, Tendenz fallend. Auch wenn die Statistik frisiert wird und die Asylwerber mitgerechnet werden, wie eine örtliche Zeitung herausgefunden hat.
Heute fällt die Stadt eher durch Berichte rund um die zentrale Aufnahmestelle für Asylwerber auf. Hier werden Flüchtlinge aus Tschetschenien einquartiert. Das Lager liegt am Stadtrand, in der Nähe ist ein großer Supermarkt, wo sich die Fremden gerne treffen. Die Anrainer fühlen sich unsicher , klagen über steigende Kriminalität.
Nur bei Architekturexperten ist Eisenhüttenstadt hoch im Kurs: Als herausragendes Beispiel für den Stadtbau nach 1945. Die Modellstadt für den sozialistischen Traum ist heute das größte Flächendenkmal Deutschlands.
Eisenhüttenstadt: Sozialistisches Modell
Planung Mit dem Fällen der ersten Kiefer begann der Industrieminister der DDR 1950 feierlich den Bau von Stalinstadt. Rund um fünf Hochöfen wurde nach dem Vorbild sowjetischer Städte eine ins Detail geplante Stadt gestellt.
Verfall Schon während DDR-Zeiten wurde die anfängliche Prachtarchitektur von billigen Plattenbauten abgelöst. Seit der Wende leidet Eisenhüttenstadt, wie es seit 1961 heißt, unter Abwanderung und Arbeitslosigkeit.
KURIER-Redakteure erinnern sich. Hier geht es zum Blog zum Mauerfall.
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