Wie konnte das so eskalieren? Seit Jahren ist der Touristenort Lignano an der oberen italienischen Adria Schauplatz wilder Alkoholexzesse. Wo früher um diese Zeit Familien einen ersten Kurzurlaub ans Meer antraten, tobt heutzutage der "Spring Break". Strenge Strafen (etwa gegen Wildpinkler) und verstärkte Polizeipräsenz prägen die ersten wirklich warmen Feiertage des Jahres.
Kulturell betrachtet ist es ein relativ junges Phänomen in Europa. Seine Wurzeln hat der "Spring Break" als Partywochenende in den USA. Dort wird zu Ostern gefeiert, nicht zu Pfingsten. Aber dafür schon seit acht Jahrzehnten.
Der "Spring Break" nahm seinen Ursprung im Lignano von Florida, Fort Lauderdale. Die beiden Orte ähneln sich optisch stark: Betonburg reiht sich an Betonburg. Davor liegt ein langer Sandstrand. Auch wenn man sich wegen der ebenfalls angelegten Kanäle den Spitznamen "Venedig" Amerikas gibt: Die Anmutung ist geprägt von einer auf Bettenanzahl optimierten Stahlbeton-Architektur.
Bauboom und Schwimmparty
In den 1920er Jahren erlebte Florida einen beispiellosen Bauboom, und Fort Lauderdale war keine Ausnahme. Zahlreiche Hotels und Wohnhäuser wurden errichtet, was zur Entwicklung des Tourismus beitrug. Der Partyboom begann im Jahr 1938, als die Stadt erstmalig Studenten zu einem "Swimming Forum" einlud. Und sie brachten im Folgejahr ihre Freunde mit. Und die ihre. Die Attribute von Fort Lauderdale: Sonnenschein und Meer. Außerdem gab es ein großes Angebot an billigen Hotels.
Die Geister, die Fort Lauderdale rief, wurde es nicht mehr los. 1959 schrieb das Time Magazine: Die Verstärkung durch extra Polizisten habe wenig gebracht, um die damals 20.000 Feiernden unter Kontrolle zu bringen: "Tagsüber ließen sie sich auf medium-rare durchbraten, soffen in der Nacht am Strand und ließen in der Früh Dampf ab, in dem sie Sandhaie und Alligatoren in die angrenzenden Swimmingpools umsiedelten."
Die Medien sprangen auf das wilde Treiben der jungen Leute im prüden Nachkriegsamerika auf und machten das Phänomen landesweit bekannt.
Ein Kinofilm brachte den Anschub
Den Höhepunkt markierte der Film "Where The Boys Are" (1960). Der Comedy-Streifen erzählt die Geschichte von vier Collegestudentinnen aus dem Mittleren Westen der USA, die ihre Frühlingsferien in Fort Lauderdale, Florida, verbringen. Der Film behandelt Themen wie Liebe, Sex und die damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen an junge Frauen in den 1960er Jahren.
Der Film ist auch für seine Darstellung der Geschlechterrollen und sexuellen Normen der Zeit bemerkenswert. Er vermittelt eine Mischung aus konservativen und progressiven Botschaften und zeigt den Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen und den persönlichen Wünschen junger Frauen.
Bei aller kitschigen Oberflächlichkeit ist "Where the Boys Are" ein Zeitdokument, der einen Blick in die Gesellschaft der 1960er Jahre der USA erlaubt. Und: Wie junge Frauen diese Zeit erlebten. Nachhaltiger war seine Auswirkung auf den Partytourismus: Scharenweise zog es danach junge Leute aus allen Teilen der USA nach Fort Lauderdale. Ziel: "Spring Break". Flirten. Trinken. Tanzen. Und die Hoffnung auf mehr.
2008 - das Jahr, in dem Lignano sich betrank
Die Hoffnung auf mehr oder wenige romantische Abenteuer im Vollsuff prägten auch das erste "Spring Break" in Lignano, das 48 Jahre nach dem Kinohit stattfand. 2008 zerbarsten die ersten geleerten Glasflaschen am Betonboden des Badeortes, der seither Jahr für Jahr für ein verlängertes Wochenende dem Exzess gewidmet ist: "Tutto Gas" heißt der Schlachtruf der Partypeople, die sich im ersten Jahr zwar ordentlich die Kante gaben, aber vor allem an einem Problem laborierten: Zuwenig Gleichgesinnte. Rund 3000 Zahler sind in den ersten Ausgabe des vom österreichischen Reiseveranstalter Splashline dabei. Auf 10.000 hoffte man im Jahr darauf.
Es waren rückblickend betrachtet bescheidene Zeiten: Heuer rechnet der Badeort mit 80.000 Besucher, darunter schätzungsweise 20.000 Österreicher, die sich die relative Grenznähe und Party-Erprobtheit von Lignano-Sabbiadoro zunutze machen.
Hart erarbeitet
Die Erprotbheit war hart erarbeitet: Lignano hat die Pfingstfeierlichkeiten in Form von Saufrandale zähneknirschend Jahr für Jahr bewältigt. Wo in der Nacht gekotzt wurde, waren in der Früh Putztrupps unterwegs, um den Anschein von touristischer Ordnung wieder herzustellen. Als die Massen überhand nahmen, holte man sich Hilfe aus dem Ausland: Deutschsprachige Polizisten aus Südtirol und Kärnten werden die Carabiniere auch heuer wieder an Ort und Stelle unterstützen.
Das Kalkül: Eine Gruppe entgrenzter Villacher wird sich von einem deutsch sprechenden Beamten auch bei hohem Promillepegel noch einigermaßen einfangen lassen. Falls nicht, ist zumindest die Identifizierung des Rabauken für Landsleute leichter. Wer nüchtern schlecht italienisch spricht, lallt betrunken höchstens noch deutsch.
Hohe Strafen
Rund 80.000 Betrunkene, davon immerhin 20.000 aus Österreich muss man erst einmal kanalisieren. Lignano tut das mit Strenge. Wer sich zu wild aufführt, wird nach Österreich deportiert und darf auch im Folgejahr nicht nach Lignano zurückkommen. Das nur scheinbare Kavaliersdelikt Wildpinkeln wird besonders hart geahndet. Wer sich nicht zusammenreißt, fliegt. Und versucht er unter dem Radar wiederzukommen, winken Strafen in Höhe von mehreren Tausend Euro.
Lauderdale war ruhig, Miami eskalierte dafür
Und Fort Lauderdale? Dort verzeichnete man heuer eine ruhige Partysaison. "Es gab keine großen Vorfälle", erklärte die Polizei. Ausnahme: Zwei "erwähnenwserte" Festnahmen: Eine Person hatte einen Behinderten attackiert und eine weitere war mit einem Security in eine Auseinandersetzung verwickelt.
Dafür machte heuer Miami Beach Schlagzeilen: Wegen Ausschreitungen wurden mehrere Strände gesperrt. Der "Spring Break" macht eben keine Gefangenen.
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